Sprachlich auf den Punkt und wunderbar zu lesen
Nicht ohne Hintersinn nennt Lüscher in diesem anregenden und treffenden Roman
seine Hauptfigur "Kraft". Denn auch um die Kräfte, denen der Mensch
sich "entgegenneigt" geht es im Buch (da, wo eine Reisegruppe und auch
Kraft auf der Spitze eines Turms stehen und über das Silicon Valley schauen.
Und die neuen, modernen "Kraft-Namen" erschallen wie ein kirchlicher
Chor. "Google. Facebook". "APPLE!!!!"). "Kraft ist nur
mit seiner Verachtung alleine". So sieht es aus, der Blick des Mannes
Richard Kraft. Auf die Welt. Auf seinen Berufsstand. Wo er gerne "gegen den
Strich bürstet", aber das Ganze als unnütz ermattend auch langsam sein
läst.
"Einer Provokation, die allerdings in der Runde seiner Kollegen ihre
Wirkung verliert, denn sie ignorieren sie ebenso routiniert, wie er sie
vortrug".
Nicht aus persönlichen Gründen wird er ignoriert, sondern weil scheint's unter
Professoren kaum noch etwas überhaupt allgemeine Erregung hervorruft. Satt und
saturiert, eher zynisch denn interessiert, so stellt sich seine berufliche Welt
als Rhetorik-Professor ihm dar. Was aber auch an ihm liegen könnte. Denn wenn
einer "Abendland" und ""Untergang" recht oft und
schnell, fast nur, zusammendenkt als Begriffe, ist er ja selber bereits ein
stückweit untergegangen im System.
Persönlich wird es allerdings da, wo seine Frau ins Spiel kommt. Da reichten
ein paar Worte Lüschers, was die Bewertung der Füße seiner Frau durch Kraft
angeht. Selten hat man solch zunächst einfach bildlich wirkendes mit doch
vernichtender Kraft (da ist sie wieder, die Doppelbedeutung des Namens) gelesen.
Wie überhaupt die Bildsprache Lüchers eine durchgehende Freude der Lektüre
darstellt und der Autor sehr genau die feinen Nuancen zwischenmenschlicher
(fast) Verzweiflung darzustellen vermag.
Wenn Kraft im Rahmen eines Wettbewerbs (den besten Vortrag halten zum Thema
"Warum alles, was ist, gut ist und warum wir es trotzdem verbessern
sollen?" und, wenn einem der beste Vortrag gelingt, eine Million Dollar
Preisgeld bekommen) nicht nur sich am Thema fast die Zähne ausbeißt, sondern
immer tiefer seine Person, seine Zukunft mit dem Wettbewerb verknüpft (denn nur
mit der Million Dollar kann er sich von seiner Frau und den Schulden seines
aktuellen Lebens "Freikaufen") und gerade bei diesem wichtigsten Akt
seines bisherigen Lebens einfach keine Ruhe findet (äußerlich zunächst
verstanden), das nimmt teils schon surreale Züge an. Seite für Seite mehr aber
wird klar, dass Lüscher vor allem mit den klassischen Vorstellungen eines
"gelungenen Lebens" aufräumt. Denn, oberflächlich, ist einer als
Professor und verheiratet ja auf der "Siegerseite", oder?
Und doch einer, dem der Leser von der ersten Seite an beim Scheitern zuschaut.
Mit Sprachwitz und in sich logischen Wendungen. Und gerade damit jener Satz
"Alles, was ist, ist gut" bestens konterkariert wird. Und auch die
zunächst romantisierenden Erinnerungen an die damalige Studienzeit und
Wohngemeinschaft mit seinem "alten Freund Istvan", der ihm auch in
Stanfort ein Bett anbietet, werden sich mehr und mehr in Wohlgefallen auflösen.
Eine Auflösung, der man, wird sie auf solch anregende, sprachliche Weise
geschildert, gerne beiwohnt. Zumindest für eine Weile, denn trotz der eher
überschaubaren Kürze des Romans beginnen sich nach einer Weile die Ironie und
die "Zielgruppe" derselben doch zu wiederholen und das Leben samt der
mäandernden, inneren Assoziationen von Kraft bieten, letztlich, nicht unbedingt
eine sonderliche Vielfalt an Stoff.
Fazit
Dennoch flüssig und anregend zu lesen. Bei der sich der Leser nebenbei fragt,
was denn noch tragfähige Kräfte in der modernen Zeit sein könnten. Die
digitale Welt zumindest hält, was Lüscher angeht, solche Kräfte nicht bereit.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. Mai 2017 2017-05-29 11:50:33