In der vorliegenden Anthologie russischer Erzählungen legen die Herausgeber
einen hervorragenden Überblick über die nun über zweihundertjährige
russische Literatur vor. "Die russische Literatur hat in nur zwei
jahrhunderten Werke - in allen literarischen Gattungen - hervorgebracht, die
unverzichbar zum Kanon der Weltliteratur gehören. Politisch engagiert, mit
genauen psychologischen Einsichten und in höchstem Maße kunstvoll beschreiben
die russischen Erzähler ihr Land, seine Gesellschaft und seine Menschen, die
Bürger und den Adel, die Beamten und die Privatiers, die Aufrechten und die
Heuchler, die Gläubigen und die Gottlosen."
Dies ist richtig und das immer wiederkehrende Beschreiben der "Erniedrigten
und Beleidigten" (
Dostojewski) ist bis heute
Kennzeichen der russischen Literatur. Anlässlich der Buchmesse in diesem Jahr
hat der Insel-Verlag in einer wunderbar editierten Ausgabe Erzählungen von
Nikolai Karamsin: "Die arme Lisa" (Vorbild unter anderem für
Puschkins: "Der Postmeister") bis zu den modernen Erzählern Sorokin,
Pelewin und Warlamow vorgelegt.
Die Ordnung erfolgt chronologisch, die Anthologie umfasst 665 Seiten. In einem
Anhang finden sich Lebensdaten und weitere Informationen zu den Autoren und
ihren wichtigsten Werken, die einen wirklich guten Überblick über ihr Leben
geben und durchaus mit den Autorenportraits vergleichbar sind, die Wolfgang
Kasack für die modernen russischen Autoren vorgelegt hat (Russische Autoren in
Einzelportraits, Reclam-Verlag). Weiterhin werden die Quellen verwendet.
Nicht nur die wunderschöne Ausstattung, sondern auch der Versuch, nicht nur
eine bestimmte Epoche - etwa der Sowjetunion von 1917-1991 -, sondern die
klassische und die moderne russische Literatur durch einzelne Erzählungen und
Novellen vorzustellen, ist das faszinierende an diesem Buch und unterscheidet es
von anderen Anthologien - etwa den parallel erschienenen Anthologien:
"Russland" bei dtv oder "Kauderwelsch des Lebens", die sich
auf moderne russische Erzähler beschränken - wenn auch diese Titel sehr gut
gelungen sind, insbesondere "Kauderwelsch des Lebens" (Edition
Nautilus). Auch die bis zum Erscheinen dieser Erzählsammlung beste Anthologie
über russische Literatur: "Das Leben ist schön und traurig"
(herausgegeben von Heddy Pross-Weerth, Piper-Verlag, 1988) beschränkte sich auf
die Literatur seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Dies ist hier nicht
der Fall; meines Wissens wird erstmals ein Gesamtüberblick über die russische
Literatur vorgelegt; ein Hochgenuß für jeden, der sich für dieses Thema
interessiert.
Fazit
Hervoragend gelungen und unbedingt empfehlenswert!
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 01. November 2003 2003-11-01 11:26:15