Ich habe das Buch jetzt gelesen und mir eine Meinung dazu gebildet. Kurz gesagt,
finde ich es bei weitem nicht so schlecht, wie erste Kritiken es vermuten
ließen. Für mich ist es ein sozialkritischer Gesellschaftsroman. Wenn es in
Harry Potter Band 7 am Ende heißt: "All was well", so zeigt die
Autorin hier, dass dies nicht stimmt. Die Schicksale der einzelnen Protagonisten
werden mit großem Engagement und Empathie für die handelnden Personen
beschrieben. Dass es für zwei davon tragisch endet, ist traurig, aber durchaus
realistisch.
Die beschriebenen Kritikpunkte - etwa von der aus meiner Sicht besten Rezension
von Felicitas von Loewenberg in der FAZ sind alle zutreffend. Vor allem gibt es
zu viele Figuren und es fehlt eine "Übersichtstafel". Auch kommen zu
viele Wiederholungen vor. Das sind die unbestreitbaren Schwächen des Buches.
Aber dennoch hat mich das Buch durchaus gepackt, das Schicksal von Andrew Price
und seinem Freund "Stu" Wall, genannt Fats, aber auch das Schicksal
von Krystall und ihrem kleinen Bruder hat mich nicht kaltgelassen. Was
Spießertum, Neid und Hass bewirken können, wird hier beklemmend deutlich.
Manchmal hat mich das Buch daher an Romane von Kettenbach erinnert, wenn Rowling
auch ihren eigenen Stil hat und Kettenbach literarisch eindeutig besser
schreibt.
Ich hätte - wenn ich es nicht gewußt hätte - Rowlings Stil nicht
wiedererkannt. Vielleicht ist es das Problem der Autorin, dass Prominenz
möglicherweise auch ein Nachteil sein kann. Die Erwartungen waren einfach zu
hoch. Aber ihr Anliegen, ein realistisch-düsteres Bild der Unterschicht -
beispielhaft in der Sozialsiedlung Fields - zu beschreiben, ist der Autorin m.E.
gelungen. Ich war letztes Jahr auf Urlaubsreise in London - und kurz nach meiner
Rückkehr gab es die Unruhen in dieser Stadt. Ich konnte die Wut der Menschen
durchaus nachvollziehen, weil der Gegensatz arm-reich einfach zu deutlich
sichtbar war.
Nun spielt der Roman zwar in einer - scheinbar - idyllischen Kleinstadt, aber es
wird deutlich, dass auch hier eben nicht alles "well" ist und welche
Probleme sich in der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in arm und reich
auftun können. Und diese Spaltung ist in Großbritannien deutlich sichtbar.
Dies an - aus meiner Sicht durchaus differenzierten, authentischen und damit
glaubhaften Charakteren gezeigt zu haben, die mein Mitgefühl bekommen haben
(Krystall, Rob, Tessie, Fats, Andrew) - darin liegt die Stärke des Buches.
Fazit
Insgesamt also ist für mich als Fazit festzuhalten: die von mir gelesenen
Kritiken haben m.E. zwar nicht unrecht, aber mich haben diese erkennbaren
Schwächen des Romans nicht gestört. Er könnte kürzer und straffer sein, aber
insgesamt hat er sein Ziel erreicht: mit sympathischen Charakteren ein
Grundproblem der heutigen Gesellschaften aufzuzeigen: die wachsende Armut und
die Spaltung in arm und reich. Dies ist der Autorin m.E. durchaus gelungen und
lässt mich über die erkennbaren Schwächen des Buches hinwegsehen. Ja,
insgesamt habe ich es mit Interesse gelesen und ja, es hat mir gefallen. Ein
Buch, welches zu Herzen geht und mich nachdenklich zurückgelassen hat. Wenn
dies das Ziel der Autorin war, hat sie es - bei mir - erreicht.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 05. November 2012 2012-11-05 22:18:45