Die Entwicklung eines Spions
Der vermeintliche oder echte Doppelagent (wer kann das schon so genau sagen) Kim
Philby ist im Rahmen vor allem des kalten Krieges zu Berühmtheit gelangt. Als
englischer MI6 Agent und ebenso als sowjetischer Informant. Und schon da tauchen
Fragezeichen auf, zumindest in der Frage, für welchen der Dienste Philby
eigentlich zuerst, für welchen er hauptsächlich und wie er überhaupt tätig
war. Gab es eine Form von übergeordneter "Treue" bei diesem Spion
oder bediente er alle beteiligten Geheimdienste gleichermaßen?
Robert Littell, seines Zeichens ein ausgewiesener Autor von Spionage Thrillern,
macht sich auf, die Entwicklung des jungen Philby im Rahmen einer Novelle
nachzuzeichnen und nutzt hierfür sowohl Stilmittel halbdokumentarischer
Darstellung als auch romanhafter Passagen.
"Nach dem großen Krieg (erster Weltkrieg) war eine ganze Generation von
der herrschenden Klasse enttäuschter britischer Intellektueller
herangewachsen".
Eine Gruppe, die hohes Interesse des Sowjet Staates hervorrief. Kommunistisch
bewegte Arbeiter fanden sich über all genügend, aber gebildete Briten, die an
die höchsten Stellen im Staat platziert werden konnten, waren Mangelware. Nur
dort aber waren wichtige Informationen wirklich zu finden.
So macht sich der russische Geheimdienst auf, jenen Harold Adrian, nach
Kieplings "Dschungelbuch" genannter "Kim", Philby, der sich
bereits in der Zeit der brutalen Niederschlagung der österreichischen
Sozialistenbewegung in Wien an vorderster Front auf Seiten der Sozialisten
aufgehalten hatte, anzuwerben. Der, wieder zurück in London, einen Antrag auf
Aufnahme in die kommunistische Partei gestellt hatte. Der kein Blut sehen
konnte, keine Gewalt gegen Menschen je ausüben würde, egal was passiert und
der vordergründig ziemlich am Hadern war mit seinem Vater, einem britischen
Offizier und Wüstenfuchs, der zum Islam konvertiert war und nun mit Zweitfrau
in Saudi Arabien lebte.
Die Anwerbung gelingt. Philby macht sich als junger Reporter auf nach Spanien,
steigt auf in der Hierarchie der Fleet Street, erhält Preise, wird vom MI6 noch
angeworben und öffnet alle Tore breit für Fragen nach seiner wirklichen
Loyalität und wie das alles kam, wie es kam.
Kann es sogar sein, dass in jenem Gespräch schon vor Jung-Philbys Anwerbung
durch die Sowjets, auf hoher militärischer Ebene der Briten, für das Philby
senior extra aus Arabien nach London kam, Verabredungen getroffen wurden, die
einen ganz anderen Plan verfolgten?
Geschickt vermengt Robert Littell Fakten und Fiktion, geschickt nähert er sich
dem Phänomen Kim Philby aus persönlicher Richtungen (seitens seiner Geliebten
und baldigen Ehefrau, seitens seiner Freunde) und aus
"professioneller" Richtung (seitens der Mitarbeiter der diversen
Geheimdienste ). Zudem gelingt es Littell hervorragend, die Atmosphäre jener
Nachkriegsjahre und der misstrauischen Beäugung der Blöcke untereinander
einzufangen und damit ein Stück "geheimer" Zeitgeschichte fassbar vor
Augen zu führen.
Das Buch lebt nicht von Spannung oder Thrill, sondern motiviert den Leser
während der Lektüre vor allem in der Frage, was denn nun wirklich hinter
diesem leicht stotternden jungen Briten steckte. Schwärmerei, Naivität,
Idealismus? Reiner Zufall? Oder ein ganz anderer, komplexer strategischer Plan?
War er Einfach- Doppel- oder gar Dreifachagent?
Fazit
Littell bietet seine Theorie der Lösung gut erzählt und überzeugend an. Und
lässt doch Platz noch auch für andere Lesarten.
Ein interessantes Buch über eine schillernde Persönlichkeit, die vielleicht
nie ganz eindeutig zu fassen sein wird, deren Entwicklung Robert Littell aber
überzeugend darlegt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 15. September 2012 2012-09-15 11:36:06