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Robert Menasse: Die Vertreibung aus der Hölle

Die Vertreibung aus der Hölle

von Robert Menasse
Verlag: Suhrkamp Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-518-41267-1

Preis: 1,20 Euro bei Amazon.de [Stand: 21. November 2024]
Viktor Abravanel, Historiker und Spezialist für Frühe Neuzeit, hält einen Vortrag über das Thema "Wer war Baruch Spinozas Lehrer?"; am Abend vor seiner Abreise nach Amsterdam nimmt er teil am fünfundzwanzigjährigen Maturajubiläum, er trifft Schul- und Klassenkameraden von damals, seine große Jugendliebe Hildegund, und seine Lehrer; diese spricht er auf ihre Nazivergangenheit an, es kommt zum Desaster, zu rüden Beschimpfungen, Hassbekenntnissen, man trennt sich, übrig bleiben Hildegund und Viktor. Nun setzt die Geschichte ein, d. h. zwei Geschichten; zum Einen verfolgt der Leser Viktors Werdegang von 1955 bis zu jenem Maturafest; zum Anderen werden wir (und das sehr detailliert und hintergründig) eingeweiht in das Leben des Rabbiners Samuel Manasseh bin Israel, der, 1604, zur Hochzeit der Inquisition, in Portugal geboren, zusammen mit seinen Eltern nach Amsterdam flüchten muss. Dem Autor Robert Menasse gelingt diese von-weit-hergeholt-scheinende Verstrickung österreichischer 70er Jahre und spanisch-niederländischen 17. Jahrhunderts (=vier europäische Jahrhunderte) verblüffend gut; um es sehr einfach zu sagen: die eine Biografie liest sich wie die zweite, d. h. jene Intoleranz, jene Religionsenge, jenes Glaubens-, Lebens- und Anpassungsdiktat des Rabbi Manasseh ähnelt den Lebensumständen Viktors, der zusätzlich unter Spießbürgerlichkeit, Konsumnarrheit und Maskenhaftigkeit der Menschen leidet. Weil der junge Viktor durchweg seiner marxistischen Weltanschauung nachhängt, bleibt er als literarische Figur etwas blass, er ist, wenn man so will, mehr Roman- als Lebenssinn, er wirkt konstruiert, leicht erzwungen, ein Abbild seiner Ideologie. Die ständigen Kalauer Viktors stehen, wie ich meine, stellvertretend für die grundsätzliche Sprachohnmacht des Menschen; überhaupt entwickelt der Roman ein sehr interessantes Verhältnis dazu, was Sprache leisten kann; zum Beispiel hat Menasse auf eine gewöhnliche Einteilung in Kapitel verzichtet, statt dessen liest man unter "Inhalt" "1. Kapitel: Amok" - "2. Kapitel: Koma" - "3. Kapitel: Komma" - "4. Kapitel: Makom"; keine Seitenzahlenangabe also, jeder Leser mache sich seinen Reim auf Kapitelende und -anfang. Weitere Fragen, die die "Vertreibung" aufwirft: Warum werden die Menschen aus ihrer Geschichte nicht klüger?, wer darf sich woran erinnern und was darf dieser anderen an Erinnern und Gedenken abverlangen?, ist "Die Vertreibung aus der Hölle" akut?, d. h. sind Krieg, Machthaberei, Diktatur, Intoleranz, Unfreiheit, Verfolgung und Emigration von der Erde verschwunden?
Fazit
Menasses Roman ist sehr gut geschrieben, die Spannung flacht auf keiner der 500 Seiten ab, die aufwendige Gestaltung bleibt bis zum Schluss plausibel; geeignet ist er für anspruchsvolle Leser; die Gestaltung des Covers mit dem Porträt des Rabbi Menasseh nach dem Ölgemälde von Rembrandt war ein so nahe liegender wie guter Einfall.
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne

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Vorgeschlagen von Paul Niemeyer [Profil]
veröffentlicht am 29. Oktober 2003

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