Politische Reflexion innerhalb der "Konservativen Revolution"
Die von dem Autoren Armin Mohler beschriebene Bewegung der "Konservativen
Revolution" in der Weimarer Republik war geprägt von politischer
Aussagekraft und aktivistischem Pathos, wie es für eine ganze Generation
politischer Philosophen stehen kann, die sich keineswegs einem Rückzug in die
vita contemplativa preisgaben, sondern einen ungeheuren intellektuellen Einfluss
ausübten. Und so äußerte sich in ihr ein konsumkritischer und
zivilisationskritischer deutscher Gegenmodernismus, der mit seiner Betonung von
Tiefe, Schwere, Tragik, Authentizität und ohne eindeutiges politisches Programm
als dennoch wesentliche Kraft im Kampf gegen die progressive Beliebigkeit und
Wertnivellierung des beginnenden 20. Jahrhunderts verstanden werden kann. Die
Denker dieser Bewegung, so Spengler, Jung, Schmitt, Jünger oder Moeller,
richteten sich gegen die Dissoziation aller Lebenszusammenhänge, gegen die
Atomisierung des Bewußtseins im Zuge der Auflösung des bürgerlichen Subjekts.
Insofern versteht sich auch die zunächst widersprüchlich anmutende aber
bewußt zu wählende Formulierung des "kontemplativen Pathos"
innerhalb dieser geistig-intellektuellen Bewegung im Sinne einer
nachsinnend-beschaulichen aber gefühlsgeladenen, leidenschaftlich-ergriffenen
Haltung, die - subjektiv motiviert - ein politisches Ziel zur Realisierung vor
Augen hatte.
Das gleichsam realpolitische Instrumentarium einer solchen Haltung ist der
metapolitische Ansatz, vor dessen Hintergrund die Dichotomie der Begriffe,
nachsinnend und doch ergriffen aktivistisch, selbst zu sehen ist. Dabei
offenbart sich eine verborgene Synthese aller Begrifflichkeiten zugunsten eines
einheitlichen, politisch engagierten Weltbildes. Kontemplatives Sein und
aktivistische Sehnsucht gipfeln zur Metapolitik, zur Politik über
schriftstellerische Einflußnahme. Damit entstand der für die
"Konservative Revolution" als reaktionäre Gegenrevolution zum
Liberalismus typische Charakter, der mit dem Schritt vom Restaurativen zum
Revolutionären qua metapolitischer Einflussnahme im damaligen Deutschland eine
neue Dimension konservativen Denkens eröffnete, um den Boden von den
destruktiven Auswirkungen bisheriger Verhältnisse zu reinigen.
Georg Quabbe, Völkerrechtler und intellektueller Vordenker der DNVP bis zu
seinem Übertritt 1929 zu den Volkskonservativen, gilt als ein Vertreter dieser
Bewegung. Seine politische Linie kann in Anbetracht der für die heutigen
Verhältnisse extrem sensibilisierten "Meinungen" in Bezug auf das
"Konservative", das immer gleich "Extremismus" sei, als
Linie basierend auf einer doch vergleichsweise moderaten Haltung gelten.
Quabbe steht deshalb innerhalb des deutschen Konservatismus für eine rare
Denkrichtung: die Verbindung zwischen konservativem Denken mit liberalen
Momenten sowie die Ablehnung der Demokratie unter Hervorhebung der Verteidigung
der Republik. Quabbes Denken ist damit zu unterscheiden von den Meinungen, die
seine intellektuellen Mitstreiter bzw. Gegenspieler auf der politischen Linken
und Rechten der Weimarer Republik vertraten. Ging es diesen vorrangig darum, das
Weimarer System wahlweise als kapitalistisch bzw. wie Oswald Spengler im ersten
Kapitel zu "Preußentum und Sozialismus" (1919) als System der
"Novemberverräter" zu brandmarken, so vertrat Quabbe in seiner jetzt
neu vorliegenden feinsinnigen Analyse eine Position, die sich am besten
folgendermaßen resümieren läßt: Das Weimarer System ist nicht das System der
Konservativen, aber Veränderungen innerhalb dieses Systems werden wir nur dann
realisieren, wenn wir es als gegeben akzeptieren und in seinen
verfassungsrechtlichen Gegebenheiten mitarbeiten.
Dennoch war der Rechtsanwalt Quabbe geprägt von einer tiefen Affinität für
das konservative Element. Er betrachtete dieses aber stets komplementär zu
anderen geistigen Strömungen. Damit ist er Vertreter einer spezifischen
politischen Reflexionskultur, die innerhalb der "Konservativen
Revolution" abzustreiten seit Kurt Sontheimers Schrift von 1961
("Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik") stets bis heute
modern war, obwohl diese Schrift des nunmehr 2006 verstorbenen Politologen wenig
effizient das deutsche Phänomen politischen Denkens der Zwischenkriegszeit zu
erfassen fähig oder gewillt war. Diese bei Quabbe auffindbare Reflexionskultur
sagt nämlich aus, daß Quabbe in seiner politischen Denkweise vom Ganzen
ausging, alle Strömungen akzeptierte und gleichsam fatalistisch wußte, daß
seine Gegner auch nur aus lebensimmanenter und psychischer Notwendigkeit zu
ihrer Sichtweise gelangten - wie er selbst auch. Er ist damit Vertreter des
heute von dem Sozialphilosophen Johannes Heinrichs vertretenen Prinzips vom
"Selbstbezug im Fremdbezug" (vgl. "Reflexion als soziales
System", Bouvier, Bonn 1976 ) - man wird erst in der Anerkennung des
Anderen zum eigenen Ich und bildet staatsphilosophisch ein Ganzes.
Mit dem hier neu vorliegenden Buch haben wir nun die Möglichkeit, ein 2007 im
Uwe-Berg-Verlag erschienenes Reprint der nahezu kaum noch zu findenden Ausgabe
von 1927 des brillanten Werkes "Tar a Ri" von Quabbe zu lesen. Es ist
Bestandteil einer ganzen Sammlung von Neuausgaben zur "Konservativen
Revolution" seitens des in Toppenstedt angesiedelten Verlages.
Quabbe selbst bezeichnete sich als konservativ. In seinem 190 Seiten umfassenden
Werk "Tar a Ri", welches aus dem Irischen ins Deutsche übersetzt
"Komm, o König!" bedeutet, widmet er den weitaus größten Teil der
Seiten, etwa drei Viertel, der Entwicklung des Konservatismus in vielen
europäischen Staaten. Bei der Lektüre wird jedoch rasch jene erwähnte Tendenz
deutlich, daß er keine dogmatisch eingeschränkte Variante des Konservatismus
vertritt, keine theoretisch hochzuhaltende Ideologie, die mit der konservativen
Lebensrealität nichts zu tun hat. Vielmehr versucht er gerade, die historische
Entwicklung des Konservatismusbegriffs mit all seinen Brüchen und
Veränderungen bis in das Jahr 1927 nachzuvollziehen und weiterzuentwickeln. Er
schreibt beispielsweise: "Es würde meiner Grundeinstellung widersprechen,
wenn ich untersuchen wollte, auf welcher Seite die Wahrheit zu finden ist; für
mich handelt es sich ja hier, wie immer, um die Klarstellung des Gegenstandes
und nicht um das Abwägen des Für und Wider." (118)
Etwas seltsam mutet seine Argumentation in außenpolitischen Fragen an, auch
deshalb, weil er 1911 an der Universität Breslau zu einem völkerrechtlichen
Thema promovierte und er eine grundlegende Analyse von Beistandspakten und
Garantieerklärungen im Völkerrecht vornahm. Ihn außenpolitisch einzuordnen
ist somit ungleich schwieriger, als seine aus heutiger Sicht für die Weimarer
Zeit wegweisenden staatstheoretischen Auffassungen zu analysieren, da seine
Vorstellungen vage bleiben und dort, wo sie konkreter werden, vor allen Dingen
der politische Pragmatismus vorherrschend ist. Diese Vagheit im
außenpolitischen Denken wird wohl daran gelegen haben, daß Quabbe mit Tar a Ri
eine Streitschrift über den Zustand der DNVP vorlegen wollte und nicht die
Absicht hegte, der DNVP ihren außenpolitischen Kurs vorschreiben zu wollen.
Das vorliegende Buch, welches bis heute kaum noch gelesen wurde, ist dazu
geeignet, neue Dimensionen innerhalb der "Konservativen Revolution"
auszumachen, sie nicht leichtfertig als "Wegbereiter Hitlers" zu
diffamieren, sondern vielmehr aus sich selbst heraus in ihren Motivationen zu
verstehen und ihren Theoremen etwas abgewinnen zu können. Für Quabbe nämlich
war seine eigene Haltung immer "der Komplementärgedanke zu irgendeinem
Gedanken der Gegenseite ist." (176) Es ging ihm also keineswegs um einen
ontologisch völlig wertlosen zweiwertigen Formalismus des
"Entweder-Oder", wie man ihn heutigen Parteipolitikern vielmehr
vorwerfen müßte, sondern darum, einander trotz fester Überzeugungen und
Gegenüberzeugungen anzuerkennen, ohne dennoch von der eigenen Standhaftigkeit
im Denken abzuweichen: "Die letzte Weisheit bleibt also ein ‚Wir sind so
und deshalb handeln wir danach", (...)." (177) Die Neuausgabe diese
Buches ist sehr begrüßenswert und gibt Kraft zur Konstituierung eines neuen
konservativen und zugleich modernen und wertvolleren Staatsdenkens im
Deutschland der Gegenwart. Daniel Bigalke, Dipl.-Pol.
Fazit
Georg Quabbes Buch dient als Einstieg in die Ideenwelt der Konservativen
Revolution, sollte aber nicht ohne die Lektüre anderer Standardwerke derselben
betrachtet werden.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 26. Juni 2007 2007-06-26 20:52:24