Ein Spreewaldtrauma statt eines Spreewaldtraums beginnt für den Berliner
Kommissar Robert Lindner und seine Familie mit dem Tag ihres Umzugs von Berlin
nach Glubitz. Seine Frau Marie hat dort ein vernachlässigtes,
heruntergekommenes Hotel geerbt und ist fest entschlossen, diesen
"Spreewaldhof" wieder zum Leben zu erwecken und für Gäste attraktiv
zu renovieren. Ungern schließt Robert sich ihrem Vorhaben an, aber eine
Alternative bleibt ihm nicht. Ein Unfall im Dienst hat seine Gesundheit
zerstört, ständige Rückenschmerzen mit mangelnder Belastbarkeit und
täglichen Tabletteneinnahmen zwingen ihn, seine Polizeiarbeit aufzugeben.
Deprimiert und ständig mit seinem Schicksal hadernd wechselt er von West nach
Ost, voller Abneigung gegen die "Ossi-Bevölkerung" und nicht bereit,
sein Leben noch einmal positiv umzukrempeln. Während seine Frau voller Tatkraft
beginnt, das Gasthaus wieder wohnlich zu gestalten, und sich und ihrer Familie
eine neue Zukunft zu erschließen, wird Robert nach und nach immer stärker ein
Opfer seiner trüben Gedanken, leidet unter unsäglichen Schmerzen, die er mit
ebenso unsäglichen Mengen von starken Opiaten zu besänftigen versucht. Und
hier beginnt dann auch ein verhängnisvoller Strudel sich zu drehen, in dessen
Mitte er sich wiederfindet, zweifelnd an der Realität und an sich selbst,
dunklen, unbekannten Mächten hilflos ausgeliefert, ein Spielball drohender
Unwägbarkeiten.
Wer als Leser hier in diesem Debutwerk von Hendrik Berg einen Kriminalroman mit
hergebrachtem, fundiertem Thrillergerüst erwartet, wird mit Sicherheit
enttäuscht sein. Einmal laufen zwei Geschichten in Parallelwelten ab, die erst
spät ineinander übergehen, zum Anderen führt uns der Autor über einen prima
aufgebauten Spannungsbogen ständig tiefer in ein Labyrinth von Vermutungen und
Ahnungen, gibt immer wieder Andeutungen und Hinweise, stellt Geglaubtes wieder
in Frage, sodass man sich niemals ganz sicher sein kann. Man tastet herum, teils
ist es morastig düster, teils boshaft und hinterhältig - aber nichts ist klar
und greifbar. Über Allem liegt die ständige, unterschwellige Angst vor dem
Unbekannten, die uns einhüllt wie der Spreewaldnebel, der die verschlungenen
Kanäle in wattige Feuchte bettet und den Leser mit seinen tastenden Fingern
berührt. Sich berühren lassen von einer Atmosphäre, die manchmal hier den
Bezug zur Wirklichkeit verläßt und auf Realität verzichtet - dazu muss man
bereit sein, um diesen Krimi mit Genuss lesen zu können. Er ist ausgefallen,
speziell und überhaupt nicht alltäglich, eine gelungene Kombination zwischen
Thrill und Fantasy - eine echte "Doppelspur", wobei wir wieder bei den
Parallelwelten sind.
Fazit
Dem Autor ist hier ein eindrucksvolles Debut gelungen. Mit ständig wachsendem
Spannungsbogen und ausdrucksvoller, bildreicher Sprache versteht er es, den
Leser über das gesamte Buch hin in Atem zu halten und serviert einen
first-class Page - Turner.
Vorgeschlagen von brillenbaby
[Profil]
veröffentlicht am 27. Juni 2012 2012-06-27 16:06:35