Zur Verschiebung des Umganges mit Freizügigkeit
Über den Bereich der "direkten" Pornographie heraus lassen sich
gesellschaftliche Diskurse über "Sexualisierung" oder
"Erotisierung" in breitem Maßstab feststellen, mithin eine
"Sexualisierung" weiter Teile des kulturellen, vor allem medialen
Lebens. Sei es in der Populärkultur, Musikclips, Liedtexten, Zeitschriften, in
der Werbung ganz allgemein bis hin vor allem zur "Amteurisierung" des
pornographischen Angebotes gerade im Internet. Aber auch der erkennbar leichte
Zugang zu pornographischen Inhalten für Jugendliche und Heranwachsende wäre
noch zu nennen, mithin ein breites Feld, dem sich die Herausgeber des Buches
zuwenden.
"Alles Porno", könnte man fast überspitzt sagen. Eine Beobachtung,
die den Ausgangspunkt für das vorliegende Buch bildet, eine Untersuchung aus
verschiedensten Richtungen und großer Breite, die der Frage nachgeht, wieweit
sich tatsächlich in der Öffentlichkeit Grenzen der pornographischen
Darstellung im Lauf der letzten Jahre und Jahrzehnte deutlich erkennbar
verschoben haben. Und zu welchem Zweck intime körperliche Vorgänge im
gesellschaftlichen, kulturellen und persönlichem Kontext "als
Gestaltungsmittel in Dienst genommen" werden.
In 33 Beiträgen verschiedener Autoren wird hier im Buch für eine weitere und
vertiefende Diskussion ein durchaus beachtenswerter Anfang gesetzt. Eine
Diskussion des Themas auch, die im buch aufzeigt, wie sehr sich doch bereits
deutlich in den letzten fast 50 Jahren Grenzen verschoben haben. Alleine schon
das Beispiel eines doch eher harmlosen Gedichtes aus der Zeit Mitte der 50er
Jahre, welches dem Autor Allen Ginsberg damals eine Gerichtsverhandlung
bescherte. Zeilen, die heute nicht einmal mehr für ein müdes Lächeln sorgen
würden, so (eben relativ) harmlos kommen sie für heutige Ohren daher. Daher
ist es folgerichtig, dass in einigen Beiträgen des Buches auch Prozesse der
Individualisierung und der Materialisierung der Körperlichkeit (als Darstellung
der Entwicklung der letzten Jahrzehnte) mit beachtet werden. In einer
Gesellschaft, in dem der Körper vor allem im bereich der Freizeit immer mehr in
den Mittelpunkt gerückt wird und die zur Schaustellung des eigenen Körpers
(bei Frauen und Männern) umfassende Breite annimmt.
"Im Zuge des Neoliberalismus sind wir nicht mehr nur unseres eigenes
Glückes, sondern auch unsres eigenen Körpers Schmied." Und was da eifrig
geschmiedet wurde, will auch offen gezeigt werden und seine "Potenz"
zeigen und unter Beweis stellen, die eigene Körperlichkeit in immer
ekstatischeren Momenten erfahrbar machen.
Im Verlauf der Lektüre wird deutlich, dass es durchaus Hinweise dafür gibt,
dass dem Pornographischen durchaus vor allem dort Potential zugesprochen wird,
wo es einerseits sichtbar artikuliert wird, dennoch aber eher
"hintergründig" mitläuft und der "veräußerlichten
Innerlichkeit" des Menschen somit einen begleitenden Raum verschafft. Dem
widerspricht nicht die offen zur Schau gestellte Körperlichkeit (vor allem der
Pop- und Musikkultur). Diese bietet Orientierung für den
"Hintergrundrahmen" des dann alltäglichen Lebens, in dem der Körper
in seiner sexuellen Bedeutung zwar diskret, aber eben grundlegend "in Szene
gesetzt wird".
Im Aufbau nähert sich das Buch dem Thema zunächst von verschiedenen
diskursiven Richtungen her. Medienwissenschaft, Philosophie, soziologische
Überlegungen bilden den Auftakt, geht dann konkreter über in eine Untersuchung
der Pornografisierung der Populärkultur (Inszenierungen zwischen Provokation
und Anderswelt), zeigt die immense Verbreitung der Pornographie durch die
Digitalisierung ebenso auf, wie jene "anderen" Standpunkte und
Entwicklungen in der "Queer-Kultur". Ein besonderer Blick richtet sich
breit auf "Pornografisches in der Jugend" mit dem Blick auf die
pädagogische Praxis. Abschließend zeigen verschiedene Beiträge sehr konkret
"Pornografisches in der Produktion" auf.
Fazit
Alles in allem liegen in den 33 Beiträgen des Buches ein breiter Zugang und
eine weite Sicht auf das gestellte Thema vor. Fundiert wird aufgezeigt, wie sehr
die "Veräußerlichung des Innerlichen" den Körper auch in seiner
sexuellen Intimität "öffentlich " gestaltet und wie sehr
dementsprechend pornografische Elemente das Alltagsleben und die kulturelle
Entwicklung ganz offen mit gestalten. Das Buch eignet sich in seiner
verständlichen Darstellung hervorragend zum Einstieg in das Thema und bietet
eine Reihe von Anknüpfungspunkten vor allem, aber nicht nur für einen
medienwissenschaftlichen weiteren Diskurs.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 19. Juni 2012 2012-06-19 14:53:37