Orientierungslose Menschen
Die Nase über Wasser halten, dies scheint die Hauptbeschäftigung der vielen
Protagonisten des Buches von Paula Fox zu sein, die ich um die Hauptfigur des
Romans, Annie, herum gruppieren, ihren Weg kreuzen, verschwinden, wieder
auftauchen. Alle mir irgendwelchen Plänen, letztlich aber doch fast durchweg
innerlich wie auf der Durchreise, eines verbindlichen, äußeren Rahmens beraubt
in dieser Zeit um 1940 herum in Los Angeles, Hoffnungsort für viele, an dem
Wellen von Emigranten aus Europa angespült wurden, die kommunistische Partei
versucht, Fuß zu fassen und ganz allgemein jeder irgendwie Geld auftreiben muss
und so mancher und manche den stillen Traum des Entdeckt-Werdens träumt.
Natürlich trifft man hier und da im Buch auf die ein oder den anderen, der es
"geschafft" hat (und dennoch sich einreiht in diese innere Leere, die
fast allen Figuren des Romans zu eigen ist).
Und mitten drin Annie. Der Vater schon vor langem mit einer neuen Frau aus ihrem
Leben verschwunden, die Mutter tot. Auf eine vage Hoffnung hin auf einen Mann
Namens Walter, der sich als Seemann verdingt), reist Annie mit der einzigen
Kleidung, die sie besitzt am Leibe, von New York nach Kalifornien, um Walter zu
treffen. Richtet sich dort irgendwie ein, verbindet sich mit Walter, der fast
umgehend wieder in See sticht und trifft Seite um Seite auf ein Kaleidoskop
innerlich wie wild rudernd erscheinender Menschen mit diversen Macken, mit
Schicksalen, mit um sich greifender Resignation.
""Mein Leben ist ein Schlamassel. Ich weiß nichts. Ich weiß nicht
einmal, wie man sich die zähne putz. Es ist, als ob ich jeden Tag neu anfangen
müssten, wie ein Neugeborenes. Man muss mich bei der Hand nehmen"",
sagte sie (Annie) unglücklich.
Aber eigentlich, sieht man es recht, ist es eher Annie, die in einer
Aneinanderreihung von Episoden viele andere an die Hand nimmt. Sei es Jake, der
sich in sie verliebt und ihr die Jungfräulichkeit nimmt, sei es Max, der als
Parteifunktionär mehr und mehr in Zweifel gerät, seien es Mitbewohner,
Freundinnen, sei es ihr reicher Onkel, der sie mit auf eine dekadente Party der
Hollywoodgrößen nimmt. Es ist nicht viel, was Annie von all diesen Menschen
dann für sich bekommt. Aber, ehrlich betrachtet, und dies ein Symbol, ein Bild
für die gesamte Konzeption des Romans, auch Annie hat nicht wirklich viel, was
sie zu geben vermag. Schlägt sich durch. Stellt ihren Körper zur Verfügung,
einfach so. Das kostet sie nichts, denn sexuell empfindet sie nichts. Ein Bild
für den Roman, denn in der Tiefe sind die handelnden Figuren kaum mehr zu
erreichen und kaum mehr miteinander verbunden.
"Die Menschen, denen sie begegnet war, waren wie Perlen an einer
zerrissenen Schnur, die bewusstlos in Südkalifornien herumrollten".
Sprachlich ganz hervorragend mit detailreicher Bildsprache (bis hin zur
Schilderung der Farbgebung von Fußsohlen) erzeugt Fox eine resignierende,
trübe Atmosphäre des alltäglichen (Über-) Lebenskampfes. Es dauert
allerdings lange, bevor ein Hauch von erkennbarer Struktur in all die Abläufe
kommt, fast 200 Seiten lang wirkt der Roman wie unverbunden nebeneinander
gestellte Episoden, die aus dem irgendwo kommen und in ein nirgendwo
hineinfließen. Viele Figuren, viele Orte, Zeitsprünge, es ist anstrengend, zu
folgen, um einigermaßen den Überblick zu behalten. Und lohnt sich zum Ende
hinaus dennoch, wenn ein wenig mehr deutlich wird, wohin Annies innere Reise
geht und sich in manchen der vielen Figuren doch erkennbare Entwicklungen
zeigen.
Fazit
Intensiv dargestellt, in kleinste Nuancen hinein die Figuren ausleuchtend,
stellt Paula Fox inneres, menschliches Zerfließen vor die Augen des Lesers und
zeigt auf, wie haltlos der Mensch in sich werden kann, wenn die äußeren
Rahmungen wegbrechen. Es ist nicht immer einfach, den roten Faden im Auge zu
behalten und hier und da stehen die Ereignisse zu unvermittelt und unverbunden
nebeneinander. Dennoch aber eine lohnenswerte Lektüre über den inneren und
äußeren Überlebenskampf im Los Angeles der 40er Jahre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 12. Juni 2012 2012-06-12 12:37:03