Mit dem ostfränkischen König Otto I. ("der Große", gestorben 973)
beginnt die deutsche Geschichte - so zumindest eine geläufige Annahme. In der
neueren Forschung wird dies differenzierter und kritischer betrachtet. Dennoch
ist die Regierungszeit Ottos sicherlich eine bedeutende Phase der
mittelalterlichen Geschichte. 2012 jährt sich die Kaiserkrönung Ottos des
Großen im Jahr 962 zum 1050. Mal. Aus diesem Anlass findet nicht nur eine
große Sonderausstellung zum Thema Kaisertum in Magdeburg statt, sondern es
erscheint mit diesem Werk von
Matthias Becher auch eine neue
Biographie des Kaisers.
Bereits 2001 erschien eine umfassende Biographie Ottos, verfasst von dem leider
bereits verstorbenen Historiker Johannes Laudage. Becher nimmt Bezug darauf und
erklärt, dass eine neue Darstellung diese nicht ersetzen soll, aber ergänzen
kann.
Becher legt zunächst die Grundlagen der ostfränkischen Geschichte im frühen
10. Jahrhundert dar und geht auch auf Ottos Vorgänger und Vater Heinrich I.
ein. Im Anschluss daran schildert er chronologisch/systematisch die
Regierungszeit Ottos, beginnend mit den schweren Anfängen, der Durchsetzung
seiner Herrschaft, der Revolte seines Sohnes Liudolfs und dem großen Sieg über
die Ungarn im Jahr 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg. Dieser Sieg sicherte Ottos
unangefochtene Autorität im Reich und hat bis in die Moderne für ein positives
Geschichtsbild gesorgt. Auch das energische Vorgehen Ottos im Osten des Reiches
wird beschrieben, wo er Magdeburg zum Zentrum ottonischer Politik in diesem Raum
machte und die Missionierung der Elbslawen zu forcieren versuchte. Otto ließ
sich bereits 951 in Italien zum König krönen und erlangte 962 die westliche
Kaiserwürde, die bis dahin mit den (nun ausgestorbenen) Karolingern verbunden
gewesen war. Becher betont die umsichtige Vorgehensweise Ottos in Italien, was
er positiv würdigt (S. 230).
Recht knapp werden die letzten Jahre Ottos beschrieben, bevor Becher den
"Tod eines Kaisers" skizziert und anschließend die berechtigte Frage
stellt, ob Otto wirklich ein "Großer" gewesen ist. Becher kommt zu
einem recht ausgewogenen Urteil und referiert knapp die Forschungsgeschichte zu
Otto, den die ältere, nationalgeschichtlich ausgerichtete Forschung gerne in
Anspruch nahm. Becher setzt sich im Sinne der neueren Forschung zu Recht davon
ab, bejahrt aber gleichzeitig die Erfolge Ottos und seine Beharrlichkeit. Man
mag sich freilich im Detail streiten; auch skeptischere Haltungen zu Otto haben
durchaus ihre Berechtigung, zumal die "Person" an sich aufgrund der
Quellenlage immer recht unscharf bleibt. Becher lehnt berechtigterweise
Vorstellungen von einer "Geburtsstunde" der Deutschen ab, da es zu
dieser Zeit keine nationalen Kategorien gegeben hat. Becher betont jedoch die
Italienzüge als Faktor zum "Wir-Gefühl" im Ostfrankenreich (S.
269f.). Die allgemeine Bewertung der Italienpolitik ist freilich
diskussionswürdig, denn diese erzwang nun auch eine fortgesetzte Präsenz im
Süden, was nicht unproblematisch war.
Eingestreute Quellenauszüge in deutscher Übersetzung bereichern die
Schilderung, die von einer guten Literaturauswahl abgeschlossen wird.
Fazit
Becher hat kein neues Standardwerk zu Otto dem Großen verfasst, bietet aber ein
Resümee der neueren Forschung und dies in einer anschaulichen, klaren Sprache.
Immer wieder werden Problemkreise der modernen Forschung skizziert, ohne dass
dies ermüdend oder aufgesetzt wirkt. Das gut geschriebene Buch, das allerdings
m. E. relativ knapp ausgefallen ist, kann daher auch Laien absolut empfohlen
werden. Die Lektüre bietet kaum neue Akzente, aber einen guten Einblick in das
10. Jahrhundert und die Anfänge des mittelalterlichen römisch-deutschen
Reiches, das aus dem Ostfrankenreich entstand.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 24. Mai 2012 2012-05-24 13:52:39