Stereotypen statt Veranlagungen
Nicht "natürliche Anlagen" sind es, die den Menschen letztlich in
seiner Persönlichkeit formen, sondern in weitaus höherem Maße ist es das, was
an Denken vermittelt wird, an kulturellen Vorurteilen, an Stereotypen,
letztlich.
Auf der Basis dieser Erkenntnis entfaltet Cordelia Fine ihr erfrischend im Ton
und allzeit verständlich im Stil geschriebenes Buch, in dem sie sich den
behaupteten "natürlichen" Unterschieden zwischen Frauen und Männern
zuwendet. Und die "wissenschaftlichen Erkenntnisse" intensiv
betrachtet und auseinanderbaut, die so viele aber nur vermeintliche
"Tatsachen" über Mann und Frau neurowissenschaftlich in den Raum
gesetzt hat,
Ob es jenes Vorurteil ist, dass "Männer in Sachen Empathie eben komplett
ungünstig verdrahtet sind", weile ihre "Neuronen eine
Testosteronmarinierung" über sich ergehen lassen mussten oder eben die
andere Seite der Medaille, dass Frauen nun mal nicht "räumlich genug"
denken können, um korrekt ein Auto einzuparken.
Oder auch, warum es so wenig Frauen in Führungspositionen gibt, gar, dass viele
Frauen gar nicht zu solch "höheren Weihen" hinstreben. Natürliche
Veranlagung? Oder festgefahrene, stereotyp Denkweisen, die quasi mit der
Muttermilch bereits weitergegeben werden?
Eines wird schon zu Beginn der Lektüre klar, die Sache mit der
"natürlichen Veranlagung" hat etwas bequemes im Denken, etwas so
heimelig "Unveränderbares", so dass man sich nicht allzu sehr damit
beschäftigen müsste. Das ändert aber nichts daran, so weist die
Neurowissenchaftlerin Fine überzeugend in ihrem Buch nach, dass die
psychologischen Einflüsse Persönlichkeiten "Machen" und dass diese
geprägt sind von tradierten Stereotypen, die dann zu selbsterfüllenden
Prophezeiungen werden.
Demgegenüber ist die Folgerungen Fines im Buch eine entgegen gesetzte:
"Männern und Frauen ist alles möglich". Wenn es entsprechend
gelingt, die einengenden Stereotype zu erkennen, zu benennen und zu überwinden.
Männer sind eben nicht rein hormonell bereits mathematisch begabter, auch wenn
an mancher Stelle diese Wahrheit nicht gerne gehört werden wird. Stereotype,
die bereits von klein auf geprägt werden durch die unterschiedlichen
Erwartungshaltungen von Eltern und Familien an Kinder männlichen oder
weiblichen Geschlechtes. Erwartungen, die sich von Geburt an ausdrücken in
unterschiedlichen Spielzeugen und Rollenerwartungen. Jungens sollen eben nicht
Mädchen sein ("Du Mädchen" ist ein klassisches Schimpfwort für
"zu weiche" Jungen") und Mädchen eben nicht herb, Mannfrau oder
sonstiges in sich entdecken, sondern sich doch eher den Puppen zuwenden (um sich
auf das "wirkliche" Leben vorzubereiten).
Locker in der Sprache, immer praxisbezogen, mit vielen Beispielen und durchaus
sanfter bis stärkerer Ironie wendet sie sich einem eben nur halbwegs sich
ändernden Denken zu, zeigt den "Neurosexismus" auf, der in seinen
"Verdrahtungen " "aufgepfriemelt" werden müsste und
plädiert für ein klares "Gender-Recycling", ein "sich
dehnen" über die einengenden inneren Stereotyp Schranken hinaus. Eine
beharrliche Dehnung des soziologischen Vorstellungsvermögens ist wohl die bete
Möglichkeit, den eigenen Engen im Denken zu entkommen.
Fazit
Ein Buch übrigens, dass in dem, was Fine impliziert, durchaus über das engere
Thema Mann und Frau hinausgeht. Stereotype sind ja nicht auf Geschlechterrolle
festgelegt, sondern finden sich in so gut wie allen Bereichen des Lebens und der
"Vorbereitung von Kindern auf das Leben" wieder. Auch hier wäre eine
angesprochene "Dehnung" für ein konstruktives Miteinander der
Menschheit durchaus ratsam. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre über das, was
Menschen zutiefst für ihr Leben prägt. Und wie es überwunden werden könnte.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 21. Mai 2012 2012-05-21 12:40:54