Wissenschaftliche Rezeption von Castingshows und ähnlichem
Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts und der damals sich entwickelten
Breite von Talk Shows vornehmlich in den privaten Fernsehsendern erhielt der bis
dato zumeist nur als Zuschauer am Fernsehen beteiligte
"Nicht-Prominente", einfache Bürgert die Möglichkeit, in erheblicher
Breite die Möglichkeit, selbst vor der Kamera aktiv zu werden. Ebenso
beobachtbar war, nicht nur zu jener Zeit, das immer häufiger in diesem
Zusammenhang gerade auch Menschen "aktiviert" wurden, die in ihrem
"echten" Leben eher am unteren Rand der Gesellschaft zu finden waren
(und sind).
Nun aber ist die "Realität nicht per se" interessant, wie Joachim Von
Gottberg in der Einleitung des Buches herausarbeitet. Es bedarf der Inszenierung
und der Kommentierung, eine professionelle Auswahl der Beteiligten, ein
formatinternes Regelsystem, welches Provokationen oder Konflikte zwischen den
teilnehmenden Personen befördert, in Teilen gar erst selbst inszeniert und eine
bewertende Moderation, die auf Spannungsbögen hinarbeitet.
Gerade das als Schwerpunkt im Buch betrachtete Feld der Castingshows, die in der
vorliegenden Breite und Vielzahl quasi als Nachfolger der 90er Jahre Talkshows
bezeichnet werden könnten, zeigt diese Inszenierung, professionelle Planung und
strukturierte Dramatik sehr gut sichtbar auf. Interessant zu lesen sind alleine
schon die gezielten und "gemachten" Peinlichkeiten, Bewunderungen,
Images, welche beileibe nicht nur die "Kandidaten" betreffen, sondern
auch die Juroren und das Umfeld solcher Shows. Und hinter allem, auch im Buch,
liegt die Frage zugrunde, wie viel Intimität eigentlich einem Millionenpublikum
um welchen Preis und mit welchen Folgen geboten werden kann. Öffentliche
Wahrnehmung um jeden Preis scheint zumindest das Motiv von Teilnehmern zu sein.
Was auch für sogenannte "Coachingshows" zutrifft, deren Formate
ebenfalls in den letzten Jahren von der "Super Nanny" an breit in die
Programme rücken.
Was aber nun bedeutet es für die Zuschauer solcher Sendungen, diese zu sehen?
Woher rührt der zumindest teilweise Erfolg? Wird es damit tatsächlich
hoffähig, Schwäche zum Anlass für reine Schadenfreude und Beleidigungen
anzusehen? Wird das "Leistungsprinzip" tatsächlich alleiniges
Wertprinzip der Gesellschaft, bedingt auch durch solche Shows?
De erste Teil des Buches stellt die wissenschaftliche Diskussion zum Thema dar,
legt den Blick auf die entsprechende Shows auch aus dem Blick der Produzenten
dar (Gute Unterhaltung ist das oberste Gebot?) zeigt aber auch die kritische
Haltung des Jugendmedienschutzes und geht der Frage nach, ob hier ein
"Unterschichtenfernsehen" vorliegt, oder doch eine "Vorbereitung
auf die Gesellschaft".
Im zweiten Teil unterfüttern die Autoren Ergebnisse und Aussagen des ersten
Teils mit empirischen Daten. Wie gehen Jugendliche mit der Jury diverser
Castingshows um, wie werden Kandidaten bei jugendlichen Zuschauern wahrgenommen,
welche Neucodierung von Weiblichkeit erfolgt im Rahmen solcher Inszenierungen?
Und, vor allem, wie sich die jugendliche Orientierungssuche zwischen dem eigenen
Leben und der "Fernsehwirklichkeit" darstellt.
Auch wenn die einzelnen Beiträge in der Sprache teils anspruchsvoll vorliegen,
durch die ständige Rückkoppelung und Nähe zum betrachteten Objekt lassen sich
die einzelnen Beiträge gut lesen und bieten vielfach interessant Einblicke in
die Ergebnisse. Dass eben Casting- und Coachingshows nicht nur mehr reine
Unterhaltung sind, wie Fernsehshows in den 70er und 80er Jahren des letzten
Jahrhunderts vornehmlich an Wirkung erzielten, sondern sich durchaus ein
Geflecht mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Werteorientierungen ergeben,
die ernst zu nehmen und jeweils zu hinterfragen sind. Sehr deutlich sprechen die
Ergebnisse von der Verantwortung gerade der diversen Jurys, die tatsächlich als
Bewertungsinstanz positiv besetzt und wahrgenommen werden.
Fazit
Es ist zu wünschen, dass die Ergebnisse dieser Studie eine Diskussion gerade
über die Wirkung und die notwendigen Grenzen solch öffentlich inszenierter
Shows befördern. Und dass bei Grenzüberschreitungen auch sachgerecht
Argumente gegen eine solche nun vorliegen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 14. Mai 2012 2012-05-14 14:26:46