Manuel Vazquez Montalbans vorliegender Kriminalroman wurde - meines Erachtens
völlig zu recht - zu den hundert besten Kriminalromanen gezählt, die jemals
erschienen sind. Ich habe selten so viel über die Geschichte und den Alltag in
Spanien in der Neuzeit erfahren wie in diesem Kriminalroman, der sich intensiv
mit der Geschichte des spanischen Kommunismus, aber auch der Ideologie dieser
Weltanschauung beschäftigt. Der im Oktober 2003 überraschend verstorbene Autor
hat mit dem wunderbaren Gourmet Pepe Carvalho nicht nur eine wichtige Figur des
Kriminalromans geschaffen, sondern - insbesondere mit diesem Roman - auch sein
Faible für politische und zeitgeschichtliche Bücher bewiesen.
Im vorliegenden Kriminalroman muss Carvalho die Hintergründe am Mord an dem
charismatischen Kommunistenführer Garrido untersuchen. Dieser Mord führt zu
politischem Aufruhr, in Madrid herrscht der Ausnahmezustand, es gibt Gerüchte
über angebliche Putschversuche. Die Regierung beauftragt Ramon Fonseca mit der
Aufklärung an dem Verbrechen. Doch die Kommunisten können diesen Mann, der
während der Franco-Diktatur in Spanien die Anhänger dieser Partei grausam
verfolgte und foltern ließ, nicht akzeptieren. Sie fordern einen Ermittler, der
für die Kommunisten akzeptabel ist. Ausgewählt wird daher Pepe Carvalho, der
früher selber kommunistischer Widerstandskämpfer gegen die Diktatur Francos
gewesen und deshalb inhaftiert gewesen war. So macht sich Carvalho an die
Aufklärung des Mordes, die Montalban sehr spannend beschreibt. Natürlich gibt
es dabei eine Überraschung, da nicht etwa Faschisten für die Ermordung des
KP-Chefs verantwortlich sind...
Montalban, der auch weitere Romane über die spanische Zeitgeschichte
geschrieben hat, wie "Spiel der Macht", der ein dokumentarischer Roman
über einen baskischen Republikaner ist, der im Exil gegen die spanische
Franco-Diktatur arbeitete, eine "Autobiographie Francos" vorlegte und
auch die Lebensgeschichte der "Clara Zetkin" des spanischen
Kommunismus, Pasionara, verfasste, beweist hier - neben analytischen
Fähigkeiten, eine Kenntnis der Innenwelt und Mentalität der Kommunisten, die
erstaunt. Ich selber hatte dieses Buch erstmals vor rund 15 Jahren gelesen und
war erstaunt, dass ich selten eine - als Kriminalroman verpackte - bessere
Ideologiegeschichte der kommunistischen Bewegung gelesen habe.
Doch auch als Krimi ist dieser - nicht ganz leicht zu lesende Roman - äußerst
packend geschrieben. Jochen Schmidt äußerte in seiner 1989 erschienenen -
meines Erachtens bis heute unübertroffenen - Analyse der Gattung des
Kriminalromans: "Gangster, Opfer, Detektive" folgendes zu Vazquez
Montalban:
"Auch wenn man den Autor Vázquez Montalban auf keinen Fall mit seinem
Detektivhelden gleichsetzen sollte, so tut man ihm doch gewiß kein Unrecht,
wenn man ihn als einen einstmals Linken bezeichnet, den der Verlust seiner
Illusionen zum liberalen Skeptiker gemacht hat. Für einen Autor dieser
Couleur...kam als Held einer Serie von Krminalromanen in der Nach-Franco-Zeit
ein Polizeidetektiv wohl kaum in Frage; dazu hat sich die spanische Polizei
durch das faschistische Franco-Regime in rund dreißig Jahren allzu bereitwillig
korrumpieren lassen. José "Pepe" Carvalho ist denn auch,
gleichgültig, ob die spanische Realität einen Helden dieser Sorte zulassen
würde, konsequent und entschieden als Privatdetektiv nach amerikanischem
Vorbild angelegt. Bewußt lebt dieser "Pepe" Carvalho in einer
Gegenwart, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die spanische Nation den
demokratischen Ernstfall probt; er schlägt sich mit allen Problemen herum, die
Spanien und den Spaniern durch diesen Demokratisierungsprozeß entstehen. Dabei
scheinen sein Habitus und seine Manieren ganz darauf zugeschnitten, daß er ein
Kontrastprogramm zur Law-and-order-Mentalität der Franco-Zeit abgibt, ein etwas
unordentlicher Mensch, der den Individualismus auf die Spitze getrieben
hat".
Eine passende Würdigung Carvalhos und seines Autors, der - wie ich finde - zu
den größten spanischen (Kriminal-) Schriftstellern der Gegenwart zu rechnen
ist. Vazquez Montalban hinterläßt eine große Lücke - dies wird durch den
plötzlichen Tod des Autors schmerzlich bewußt. Anlass, das vorliegende Werk
erneut zu lesen und unbedingt zu empfehlen - für Freunde des anspruchsvollen
politischen und zeithistorischen Kriminalromans, der zu seiner Zeit (er erschien
1981) als Schlüsselroman angesehen wurde, da er leicht identifizierbare
Personen des öffentlichen Lebens (wie den damaligen Kommunistenchef Santiago
Carillo, den Garrido des Romans) portraitierte.
Fazit
Für mich bis heute eine der besten Darstellungen der kommunistischen Ideologie
und Gefühlswelt überhaupt.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 19. Oktober 2003 2003-10-19 19:23:15