Nachglühen
Nach dem fulminanten Erfolg seines Buches "Empörung" legt Stephane
Hessel nun im Alter von 94 Jahren noch einmal nach und zieht eine Bilanz seines
Lebens.
Wie im Geleitwort zu Recht betont, findet der Leser in dieser "Bilanz"
allerdings keine Autobiographie im klassischen Sinne vor, sondern eine
"Quintessenz" aus Leben und Denken des "politischen
Literaten" und des "literarischen Politikers".
Eine Essenz, die Hessel selbst eine "Architektur aus Prinzipien, Werten und
Ethik" nennt. Einer, der sich selbst überrascht zeigt von dem
"Sturm", den seine kleine Schrift "Empörung" weltweit
ausgelöst hat und der, von Beginn auch dieses Buches an, seine grundlegende
Beobachtung, sein "Thema" in den Mittelpunkt rückt. Dass man
"damals" eine bessere Welt unter dem Zeichen von Freiheit und
Gerechtigkeit aufbauen wollte und konstatieren muss, dass diese Werte vielfach
missachtet wurden. In Demokratien genauso wie in Diktaturen.
Und nun legt Hessel dem Leser seine Prägungen, seine Wichtigkeiten im Leben
offen, sieht dies sogar ausgesprochen als eine Frage nach der Rechtfertigung
seines "Erfolges" momentan. Er, der sich als einen
"Überlebenden" betrachtet, einen Zeugen aus vergangener Zeit, der
diese Vergangenheit aber nicht nur erinnernd wach zuhalten gedenkt, sondern
diese Erfahrungen und Einsichten transformiert in die Gegenwart hinein.
"Wenden wir uns der Vergangenheit zu, das wird ein Fortschritt sein"
(Verdi) ist dabei Hessels Maxime. Und eben dieses: "Widerstand leisten
heißt Neues schaffen; Neues Schaffen heißt Widerstand leisten".
Klare Sätze, klare Einsichten, klare Formulierungen. Auch wenn vieles an dieser
Lebensbilanz auf Anekdoten sich entzündet, auf damaligen Begegnungen, Hessels
Haltung ist klar erkennbar, wird deutlich benannt und trifft einfach ins
Schwarze, anders kann man es nicht ausdrücken. Genau jene Werte, die er
einklagt, für die er in jungen und jüngeren Jahren einstand und sich
einsetzte, genau jene Werte sind es, die schmählich missachtet wurden an vielen
Orten der Entscheidungsträger mit einer offenen und hohen Rechnung, die nun
für diese Missachtung präsentiert wird. In einer Welt, wie Hessel feststellt,
in der "Technologien die Welt schrumpfen lassen und individuelle Universen
im selben Maße wachsen". Und in der man "Widerstand leisten" und
gegensteuern muss, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Es zumindest
zu versuchen.
Es sind dabei durchaus auch, vielleicht sogar vor allem, die
"kleinen" Erwähnungen, die dem Leser die Person Hessel nahebringt.
Seine Haltung zur Eifersucht, zu einer Affäre seiner Frau ist noch nicht mal
mehr "modern" zu nennen, sondern fast schon "zukünftig",
selbst wenn er diese Haltung vor Jahrzehnten bereits entwickelte. Einer, der in
seinem Leben einfach umsetzt und lebt, was er als wertvolle und bedeutsam
erkennt. Hier liegt sicherlich die Faszination seiner Person mit begründet, der
man sich auch in diesem Buch nicht entziehen kann.
Fazit
Vielfach sind die angesprochenen Themen, von der privaten Seite der Liebe bis
hin zur UNO, von Erinnerungen an seine Mutter bis zur Globalisierung. Man
verzieht das assoziative und hier und da sprunghafte seiner Gedanken und
Darlegungen in dieser Breite gerne, ist doch der Gewinn der Lektüre in den
Gedanken der Solidarität, der gemeinschaftlichen Verantwortung, der
persönlichen Freiheit und des mutigen nach vorne Denkens (und Gehens) hoch und
die Anregungen zur eigenen Reflektion vielfältig.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 10. Mai 2012 2012-05-10 10:43:50