Mit Spannung habe ich auf die neue Biografie von Helmut Schmidt gewartet, da ich
zuvor die Biographien von Steffahn (Rowohlt, 1990) und
Rupps (Hohenheim, 2002) mit Interesse
gelesen habe. Um es vorweg zu sagen: die vorliegende Biographie ist spannend
geschrieben und zu lesen, reicht aber an die beiden anderen in keinster Weise
heran. Die Lebensgeschichte von Helmut Schmidt wird auf 370 Seiten dargestellt,
wobei der Autor sowohl Helmut als auch Loki Schmidt interviewt hat. Sie
konzentriert sich - im Gegensatz zu Martin Rupps - stärker auf
Ereignisgeschichte, wobei meines Erachtens jedoch gerade die Zeit seiner
Kanzlerschaft mit 57 Seiten zu knapp abgehandelt wird. Die - von Rupps
eindrucksvoll herausgearbeiteten - philosophischen Grundlagen, Helmut Schmidts
Politikverständnis, seine Vorbilder Marc Aurel, Kant, Popper, werden zwar -
äußerst knapp auf 10 Seiten (!!!) im Kapitel: "Bracher lesen und
studieren" angerissen, jedoch ohne Folgerungen. So leidet etwa das - sehr
reportagenhaft geschriebene - Kapitel über den Terrorismus, die
Schleyer-Entführung und die Geisel-Befreiung in Mogadischu - genau daran, dass
Schmidts Haltung, den Terroristen nicht nachzugeben, nicht genügend
philosophisch reflektiert wird - verwiesen wird lediglich auf Gespräche mit
seiner Frau und befreundeten Schriftstellern. Das Kapitel - Quellen hierzu sind
insbesondere die Biographie Peter-Jürgen Books und der Fernsehfilm von Breloer
- liest sich zwar spannend wie ein Krimi, bleibt aber, da das
Politikverständnis Schmidts, welches zu der Entscheidung führte, den
Terroristen nicht nachzugeben, unbefriedigend. Hier findet sich meines Erachtens
bei Rupps und Steffahn viel mehr. Auch die Umstände der "Wende"
werden äußerst kursorisch - auf 18 Seiten (S. 240-258) abgehandelt. Während
bei Rupps die Ereignisgeschichte zu kurz kommt bzw. nicht genügend strukturiert
erscheint, habe ich beim Lesen dieser Biographie das Gefühl gehabt, der
Ereignisgeschichte werde zu großer Raum eingeräumt, wobei jedoch im Stil einer
journalistischen Reportage (die für ein Dossier gut gelungen wäre) die
Hintergründe der Entscheidungen eindeutig zu kurz kommen. Eingestreute
Erlebnisse - so erlebte der "Zeit"-Journalist Schwelien den Autor, den
er seit Ende der 1960-ger Jahre kennt, - auf den wöchentlichen
Redaktionssitzungen dieser Zeitung - reichen hierfür nicht aus.
Jede kritische Analyse der Politik oder Person Schmidts fehlt, wenn auch
Schmidts Abneigung der Studentenbewegung oder seine Unterschätzung der
aufsteigenden Friedensbewegung, die dann in die Partei der "Grünen"
münden sollte, mit Fehleinschätzungen Schmidts begründet wird.
Welches sind die Grundlagen der Politik Schmidts? Worin lag sein
Politikverständnis? Diese grundlegenden Fragen, die in den Biographien von
Steffahn, Rupps und auch in dem biographischen Abriss von Marion Gräfin
Dönhoff über Helmut Schmidt in: "Deutschland, Deine Kanzler"
ausführlich eingegangen wird, gibt es keine Antwort.
Dies gilt auch, wenn man die verwendeten Quellen einmal kritisch miteinander
vergleicht. Schwelien benennt in seiner "Auswahlbiographie" ganze 15
Titel - bei Rupps umfasst die verwendete Literaturliste alleine 47 Seiten.