Von der Zerfaserung der Gesellschaft
Es ist nicht einfach, in diesen Roman von Christian Schüle hineinzukommen. Das
ist zum einen dem assoziativen, teils ins Kleinteilige abschweifenden Sprachstil
des Autors geschuldet (wo sich manches Mal nur in Satzfetzen unterhalten wird,
wo Gedanken der Protagonisten auch ins unwesentliche abschweifen), zum anderen
braucht es eine Weile, sich der bekannt wirkenden und doch verfremdeten Welt des
Romans anzunähern.
Allein schon der Kampf der Taxifahrer gegen die Fahrradkuriere im Hamburg des
Romans setzt Rätsel. "Rache" soll das Motiv sein, warum Kuriere
gnadenlos "umgemäht" werden von Taxifahrern. Rache wofür, fragt man
sich lange. Eine eher atmosphärisch düstere Welt ist es, die Schüle entwirft.
Eine Welt, in der "alte Werte" von jetzt auf gleich den "neuen
Regeln" der Manager (und der Chinesen) zu weichen haben. Und die
unaufhaltsam, wie sich hier schon andeutet, in einen neuen
"Klassenkampf" rutscht.
Kirchen werden aufgegeben und Eventagenturen ziehen ein, ein Bild für die
"neue Religion" der westlichen Welt, die Schüle bitter aufs Korn
nimmt. Der einzelne zählt nichts, wird "freigesetzt" bei passender
Gelegenheit. Was beide Hauptpersonen des Romans betrifft.
Jan-Phillip Hertz, aufstrebender Finanzfachmann, noch zu Anfang des Buches in
voller Überzeugung seiner Protektion, findet sich unversehens "auf der
Strasse" wieder.
Chinesen haben die Bank mit übernommen und für ihn ist kein Platz mehr.
"Finito Scheißerchen, das wars".
Gut, das Herz die "neuen Regeln" völlig internalisiert hat. So kann
er jedem und jeder Gruppierung seine strategischen Möglichkeiten andienen, ohne
eine eigene, innere, klare Stellung zu beziehen.
Charly Spengler, Urgestalt der Haarbürstenindustrie, erfolgreicher Direktor
einer Kamm Firma. Auch hier, die Firma geht in chinesische Hand und Spengler
wird nicht mehr gebraucht.
Und das in einer ganzen Welt voller gestrandet wirkender Gestalten, die
monolithisch vor sich hin dümpeln und irgendwas noch suchen.
"Trostlos", das scheint die richtige Bezeichnung für die
Grundströmung dieses Buches zu sein. Seltsam matt wirken die Figuren bei ihrem
Versuch, irgendwo und irgendwie auch innerlich wieder Boden unter die Füße zu
bekommen. Allein die Figur des Charly Spengler strömt in weiten Teilen der
Geschichte noch Aktivität und Kraft aus. Er, der "mit eine paar Flaschen
Korn" durchaus hier und da mit seinen Arbeitern frühstückte, wird im Lauf
der Zeit zum "Arbeiterführer" gegen all diese Gier und die Egozentrik
an den Schaltstellen der Macht.
Manager, die auf der Überholspur Vollgas geben, Taxi Fahrer, die Fahrradkuriere
jagen, die Unsicherheit der Nächte in Hamburg, das teilweise wirkt wie die
Bronx zu schlimmsten Zeiten, der junge Hertz, der ermattet versucht, seinen Fuß
wieder in die Tür des Erfolges zu bekommen, die Angestellten seines
Lieblingscafes, die zu durchaus philosophischen Tiefen neigen, eine Welt, die
tatsächlich in zwei Teile zerbricht, in die, die noch mithalten und in die, die
stranden. In diese (noch) fiktive Welt hinein verpackt Christian Schüle seine
grundsätzliche Kritik am System und seine Warnung vor dem Verfall aller
Werte.
Dies allerdings in Teilen so kleinteilig und detailverliebt, das zu Lasten des
Tempos der rote Faden der Geschichte manches Mal droht, zu zerfasern.
Stärken findet der Roman immer da, wo Christian Schüle sich mitten hinein in
die Welt der Manager begibt und die Folgen der brachialen Egozentrik spürbar
aufzeigt. Das "da unten" sämtliche Dämme drohen zu brechen. Und das
es eines Zusammenhaltes, einer Rücksichtnahme, einer "Klammer"
zwischen allen Teilen der Gesellschaft braucht, damit nicht reine Anarchie
zerstört, was sich lang entwickelt hat.
Fazit
Nicht leicht zu lesen in Sprache und Stil, in Teilen sehr kleinteilig und doch
den Finger auf die Wunde der Zeit legend, die sich in der Hochfinanz und im
Management, sprich im Kapitalismus wiederfindet, entfaltet Christian Schüle in
düsteres Bild einer untergehenden Gesellschaft, die erst spät beginnt, sich zu
wehren. Durchaus mit Kraft in der Darstellung, aber auch mit Schwächen was
Tempo und Zerfaserung angeht.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 20. April 2012 2012-04-20 05:37:39