Ein einfacher Soldat im Widerstand
"Es ist die Geschichte eines ganz normalen Gefreiten, der 1939....durch
Polen marschiert, 1940 an der Maas kämpft und im Januar 1943.......Stalingrad
entkommt. Die Geschichte eines Kradmelders, der sich im Frühjahr 1944 auf
seiner BMW in.... Gleiwitz auf den Weg macht......Der in den
Satteltaschen.......Papiere eines Offiziers aus einem Verschwörerkreis gegen
Hitler transportiert".
Der dann verhaftet, zum Tode verurteilt, zu Zuchthaus begnadigt wird und in den
letzten Wochen des Krieges eine Odysse der Flucht noch erlebt, bis er wieder zu
Hause anlangt.
Es ist vor allem die Geschichte des Vaters von Bernd Ziesemer. Einige Seiten
Erinnerungen an diese Ereignisse vom Vater nur verblieben nach dessen Tod, mit
großen Lücken, ohne konkrete Angaben. Erinnerungen, die Bernd Ziesemer nun,
Jahrzehnte nach dem Tod seines Vaters, auf den Weg seiner sehr persönlichen
Recherche gebracht haben.
Er selbst betont deutlich, dass nicht nur die paar Seiten der Erinnerungen
seines Vaters, sondern die Quellenlage der Heeresjustiz und des Ergehens der
Einheiten, in denen sein Vater diente, oft äußerst schmal sind. Über die
entscheidenden Jahre 44 und 45, die Kernfrage, was seinen Vater dazu innerlich
gebracht hat, sich für die hochriskante Widerstandsaktion zur Verfügung zu
stellen und über das Ergehen des "Obergefreiten Ziesemer" nach seiner
Verhaftung, über all dieses kann Bernd Ziesemer trotz erkennbar hervorragender
und gründlicher Recherche nur (realistische) Mutmaßungen anstellen. Weniger
aus direkten Quellen heraus, eher aus einer aus vielen Teilen zusammengetragenen
"Atmosphäre" der Ereignisse, in die sein Vater direkt eingegliedert
war.
Als gelernter Journalist mit spürbarer, persönlicher Beteiligung gelingt
Ziesemer auf jeden Fall die Gratwanderung zwischen sachlichem Bericht und
persönlich innerer Beteiligung. Ruhig und sachlich legt er seinen Bericht vor,
verarbeitet die persönlichen Notizen seines Vaters, die er durch andere Quellen
anreichert und so den gesamten Weg seines Vaters durch den Krieg, beginnend
bereits mit dem Überfall auf Polen 1939 minutiös nachvollzieht. Durchaus aber
lässt er auch die Emotionen der Soldaten jener Tage spüren, spricht von den
Grausamkeiten, Härten des Krieges ("Gefangene wurden zu diesem Zeitpunkt
nicht mehr gemacht"), der Angst, der mehrfachen Aufreibung der Einheiten
seines Vaters. Das alles liest sich gut und flüssig, detailliert und durchaus
mit den notwendigen emotionalen und atmosphärischen Hintergründen versehen.
Soweit es irgend möglich war, das erkennt man bei der Lektüre, hat Bernd
Ziesemer den Weg seines Vaters nachvollzogen. Leider, und daran kommt auch
Ziesemer nicht vorbei, für die entscheidenden Momente der inneren Entwicklung
seines Vaters finden sich keine belegbaren Antworten. Selbst für die späteren
Etappen im Angesicht eines Todesurteils und dann in Haft bleibt es bei
indirekten Quellen, die zwar hervorragend ausgewertet und verarbeitet wurden,
dennoch aber eigentliche Antworten nicht zu geben vermögen.
Was dennoch mit dem Buch hervorragend gelingt und vieles an Vagem wettmacht, ist
die eindrucksvolle Schilderung des Krieges, der Umstände, der inneren
Entwicklungen des "normalen" Soldaten bis hin zur völligen auch
inneren Erschöpfung, die Bernd Ziesemer akribisch zusammenträgt und die
indirekt zumindest erahnen lassen, wie ein einfacher Gefreiter innerlich bereit
wurde, sich dem Widerstand anzuschließen.
Fazit
Im Gesamten bietet das Buch zwar bei wesentlichen Fragen (aufgrund der äußerst
dürftigen Quellenlage) keine letztendlich befriedigenden und klaren Antworten,
durch den hochwertigen sprachlichen Stil und die an sich umfassende und tief
reichende Recherche gelingt es Bernd Ziesemer aber dennoch, ein hautnahes und
realistisches Bild des Krieges aus der Sicht eines einfachen Soldaten, der
Bedrängungen und der möglichen inneren Entwicklungen aufzuzeigen, welche das
Lesen durchaus lohnen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 03. April 2012 2012-04-03 13:06:14