Aufgeschreckt durch das Entsetzen einer Freundin, als sie unbedacht eine
Hähnchenpfanne für 2,99 in den Einkaufswagen legt, beginnt Karen Duve, ihre
Ernährung moralisch zu hinterfragen. Um zu einer fundierten Entscheidung zu
kommen, beschliesst sie, die verschiedenen Ernährungsformen selbst zu testen:
acht Monate lang isst sie nur Bio, dann vegetarisch, anschliessend vegan und
zuletzt frutarisch. Ausschlaggebend für dieses Experiment, das betont sie
mehrmals, ist nur der moralische Aspekt, nicht ein potentieller gesundheitlicher
Vorteil. Offen und ausführlich beschreibt Duve die Probleme, die im Alltag
durch die Ernährungsumstellungen entstehen, und liefert zu jeder Variante
wissenswerte Fakten und Hintergrundinformationen.
Diese Erzählweise führt dazu, dass das Buch recht heterogen wirkt:
unterhaltsame Anekdoten und sehr persönliche Erlebnisse wechseln sich ab mit
Info-Kapitel, dazwischen ein paar Interviews und das Ganze überflächlich
garniert mit ein paar moralisierenden Passagen. Das ist einerseits ein Vorteil,
weil sich diese Mischung recht flüssig liest, auf der anderen Seite aber
unbefriedigend, weil es so weder dem Informationsbedürfnis des Lesers noch
jenem nach Unterhaltung gerecht wird. Auch als Beschreibung eines
"Selbstversuchs", wie der Untertitel sagt, funktioniert das Buch nur
bedingt, da der Leser recht wenig über den neuen Speisezettel, veränderte
Geschmacksgewohnheiten oder körperliche Auswirkungen der
Ernährungsumstellungen erfährt. Und irgendwie bleibt mir auch die Motivation
für ein solches Experiment zu blass. Weshalb die Vorwürfe einer Freundin
plötzlich solches Gewicht haben, ist nicht nachvollziehbar. Die grausamen
Umstände der Massentierhaltung waren Duve offenbar schon länger bekannt, ohne
dass das Einfluss auf ihre Ernährung gehabt hätte, und als bewusste
Konsumentin, die ihre Ernährung hinterfragt, kann die gute Frau definitiv nicht
gelten.
Ich habe mich beim Lesen oft gewundert, ob Karen Duve wirklich derart naiv sein
kann. Zumindest hat sie ein Konsumverhalten beschrieben, das bei mir nur
Kopfschütteln auslöst. Wer darüber enttäuscht ist, dass eine Biotomate im
Januar auch nicht mehr Geschmack hat als die normale aus dem Supermarkt, obwohl
sie mehr kostet, hat von der Gemüseproduktion, ob Bio oder nicht, offenbar
keine Ahnung. Dass in Gummibärchen (tierische) Gelatine drin ist, ist auch
keine neue Erkenntnis. Und wenn Frau Duve einen halben Monat braucht, um zu
merken, dass Cola light nicht nur aus Chemie besteht, obwohl auf jeder Flasche
"koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk mit Pflanzenextrakten" steht,
dann ist das zwar unterhaltsam, führt aber zu akuten Zweifeln an ihrer
Recherchearbeit.
Schlimmer als das unreflektierte Konsumverhalten hat mich aber gestört, dass
die Autorin ihre moralischen Grundsätze zwar Freunden und Familienmitgliedern
um die Ohren haut, selbst aber nicht danach lebt. Vorhandene Gegenstände
tierischer Herkunft (Lederschuhe, Daunenkissen) durch Produkte aus Kunststoff zu
ersetzen, hilft den Tieren im Nachhinein nicht mehr und spricht nicht gerade
für einen ethischen, bewussten Umgang mit der Umwelt. Und die Klimaerwärmung,
die durch Tierhaltung mitverursacht wird, als Argument für einen veganen
Lebesstil anzuführen, aber regelmässig mit dem Auto ins 70 km entfernte Berlin
zum Einkaufen fahren, weil es dort die besseren Bioläden gibt, zeugt entweder
von einem recht begrenzten Denkvermögen oder von Heuchelei. Dass Karen Duve
allerdings ehrlich beschreibt, wie sie immer wieder an ihrem eigenen moralischen
Anspruch scheitert, und am Ende (welche Überraschung) zum Schluss kommt, dass
eine ethisch völlig einwandfreie Ernährung gar nicht machbar ist, lässt das
begrenzte Denkvermögen als die plausiblere Möglichkeit erscheinen. Aber das
ist vielleicht gar nicht so tragisch, denn wie die Autorin selbst schreibt:
"Es gibt nämlich noch etwas Schlimmeres, als das Denken zu verweigern -
die Zusammenhänge zu kennen, ohne daraus die Konsquenzen zu ziehen."
Fazit
Wer sich bereits ein paar grundlegende Gedanken über seine Ernährung und sein
Konsumverhalten allgemein gemacht hat, lernt hier nichts Neues. Und als
Unterhaltungslektüre wirkt die Selbstbetrachtung von Karen Duve oft sehr
bemüht. Manche der geschilderten Episoden sind durchaus amüsant, einige regen
zum Nachdenken über eigene Gewohnheiten an, aber insgesamt lässt der meist
schnoddrige, manchmal jammerde Erzählstil wenig Lesegenuss aufkommen.
Vorgeschlagen von Sibylle Meister
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veröffentlicht am 29. März 2012 2012-03-29 08:12:02