Spätmittelalter - alleine der Begriff suggeriert etwas "was zu Ende
geht", ein "Absterben". Der aus der Kunstgeschichte
hervorgegangene Begriff beschreibt die Zeit etwa vom Tode Kaiser Friedrichs II.
und dem Zusammenbruch der Stauferherrschaft, bis zum Ende des Mittelalters,
welches je nach Gusto und Forschungsmeinung von Ende des 15. Jahrhunderts bis zu
den Bauernkriegen um 1525 datiert werden kann. Diese Zeit war für die
Entwicklung des modernen Deutschlands und Europas unheimlich prägend. In
Deutschland bildete sich in dieser Zeit ein "Reichsgrundgesetz"
(Goldene Bulle 1356) heraus, welches bis 1806 im Reich Bestand haben sollte. In
Italien begann die Renaissance, Frankreich und England wurden moderne Staaten.
Nun liegt auch endlich ein geeignetes Forschungsinstrument für Studenten und
Lehrende aus der bekannten OGG Reihe vor.
Lange musste der Leser auf den achten Band der bekannten Reihe "Oldenbourg
Grundriss der Geschichte" (OGG) warten. Das nun vorliegende Exemplar ist
nicht nur das einzige, an welchem gleich mehrere Autoren beteiligt waren,
sondern auch eines der gelungensten - wenn auch nicht in allen Bereichen.
Die Reihe OGG ist recht ungewöhnlich aufgebaut, nämlich dreigeteilt. Im ersten
Teil erwartet den Leser - nach einer kurzen und dennoch vorzüglichen
Erläuterrung des nicht unproblematischen Begriffs "Spätmittelalter"
- eine knappe Zusammenfassung der politischen Ereignisgeschichte. Der gewählte
Darstellungszeitraum von 1215 bis 1378 ist eher kirchengeschichtlich gewählt
(und meiner persönlichen Meinung nach eher unglücklich, doch ist die
Periodisierung des Mittelalters ohnehin eine Wissenschaft für sich).
Dargestellt wird die Herrschaft des "stupor mundi" Friedrichs II., das
mit seinem Tode bzw. des seines Sohnes Konrad IV. einsetzende sogenannte
"Interregnum", über die Zeit des Romzuges Heinrichs VII., den Kampf
zwischen Luxemburgern, Habsburgern und Wittelsbachern um die Krone, bis zum
Zeitalter Karls IV.
Die ungewohnt knappe Darstellung der Ereignisgeschichte trägt zweierlei
Tatsachen Rechnung. Zum einen ist die politische Geschichte nie das
Hauptbetätigungsfeld der Mediävisten gewesen (sondern vielmehr die Geistes-,
Ideen-, Verfassungs- und Sozialgeschichte, wenigstens in der neueren Zeit), zum
anderen ist die OGG Reihe stark problemorientiert ausgerichtet. Sie soll
Studenten und Lehrenden als Handwerkszeug dienen. Daraus erklärt sich auch der
bewusst in die Breite gehende zweite Teil, in dem die verschiedenen
Forschungsmeinungen zum angesprochenen Zeitraum höchst eloquent, wenn auch
manchmal schmerzlich knapp, ausgeführt werden. Gerade der Teil
"Forschungsmeinung" ist der interessanteste Teil der OGG, da dort
knapp die wichtigste Litertur und die dort vertretende Lehrmeinung präsentiert
werden - die nicht immer unproblematisch ist, wie die Beispiele Friedrich II.,
Heinrich VII. und Karl IV. zeigen.
Im dritten und letzten Teil findet sich eine nicht kommentierte, aber nach
Schwerpunkten gruppierte Auswahlbibliographie. Diese ist relativ umfassend, doch
wurden manche Bücher jüngeren Datums nicht berücksichtigt. Doch stellt eine
solche Bibliographie ohnehin nur eine Auswahl dar, die gezwungenermaßen
subjektiv sein muss.
Fazit
Insgesamt liegt mit diesem Band sowohl Studenten, Lehrern als auch Laien ein
vorzügliches Arbeitsinstrument für die Zeit des Spätmittelalters vor, welches
zudem die neuen Stömungen der Mediävistik und der Geschichte im Allgemeinen,
hin zu einer Kulturwissenschaft miteinbzogen hat. Zudem wurde der europäische
Rahmen mitberücksichtigt, so dass keine nationalen Scheukappen den Blick für
das große Ganze versperren.
Zum Schluss möchte der Rezensent noch einmal auf die allgemeinen Vorteile der
OGG verweisen, welche den Zeitraum von der Antike bis zur Neuzeit abdeckt. Jedem
interessierten Leser, der sich einen Überblick verschaffen will, sei es über
die Literatur oder die Forschungsmeinung, sei diese Reihe ans Herz gelegt. Die
Dreiteilung durchzieht die gesamte Reihe, die im Großen und Ganzen ein
hervorragendes Arbeitsinstrument darstellt.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 08. Oktober 2003 2003-10-08 16:26:35