Langsamer innerer Zerfall
"Gabrielle Cilmi sang Sweet about me".
Und dieses Lied wird hängen bleiben im Kopf, tragisch verankert und auch
späterhin mit tragischen Folgen versehen sein. Eines der aktuellen
Lieblingslieder der Tochter der Familie. In diesem Urlaub der Patchworkfamile in
Holland. Betty, die Frau, Maya, die Tochter und der Ich-Erzähler im Buch,
55jährig, Musikjournalist, mit zwei linken Händen per se ausgestattet, aber
auch mit einer erschwerten Zugangsweise zum eigenen emotionalen Erleben und dem
anderer, was tragische Folgen haben wird. Einer, der um seine inneren
Verletzungen kaum weiß und deswegen nicht souverän zu reagieren versteht, mit
tödlichen Folgen.
Nach einem, wie so oft nichtssagenden, Streit zwischen der Tochter und ihrem
Stiefvater läuft Maya zunächst fort, will sich dann entschuldigen, wird
einfach (sprachlos ist er, der Ich-Erzähler, wenn es darauf ankäme, Empathie
zu zeigen) stehen gelassen und dann Opfer eines Verkehrunfalls, an dessen Folgen
sie stirbt.
Soweit die Ausgangssituation des "Niedergangs" einer Beziehung und der
Menschen in dieser, die Dietmar Sous anlegt. Denn das Eigentliche des Romans ist
der oft ganz beiläufige, sezierende, Blick des Autors auf den
"Nicht-Umgang" des Protagonisten und seiner Frau Betty mit diesem
Unglück, diesem Tod, letztlich mit sich selbst im eigenen Leben.
Innere und äußere Flucht, das ist die Handlungsweise der Beiden in der nahen
Zukunft. Sei es der verzweifelte Versuch, ein Mädchen zu adoptieren, das der
toten Tochter äußerst ähnlich sieht, sei es der Kauf einer neuen Wohnung, die
eigentlich zu teuer ist. Sei es die Hinwendung Bettys zu einer strengen,
religiösen Sekte (die im übrigen weder dem Leser noch dem Ich-Erzähler im
Roman in ihrer Entwicklung bewusst wird, die plötzlich im Raum steht).
"So tun, als ob es nicht geschehen wäre". Was nicht helfen wird.
Auch einer der letzten Versuche der beiden Eheleute, noch einmal körperlich
zueinander zu finden wird von diesem kleinen Lied zerstört (und das mit
Absicht, denn die Nachbarn aus der oberen Etage haben eine ziemliche Aggression
gegen das Paar entwickelt und extra leistungsstarke Stereoboxen gekauft). Die
ganze Geschichte eskaliert letztendlich durch dieses Lied und was es auslöst in
hoch dramatischer und dennoch lapidar erzählter Form.
Nur eines geschieht nicht. Eine "offene und gemeinsame Trauer" wird
vermieden. Die Folgen sind zunehmende Lethargie und Sprachlosigkeit da, wo es
wichtig wäre, zu reden. Ursachen und Folgen, die Sous sprachlich präzise
veranschaulicht, die Schwäche des Mannes, nirgends dagegen zu halten und nie
ein wirklich klares Wort zu sprechen.
Ein Prozess, denn Dietmar Sous dabei nicht offenlegend beschreibt, sondern
beständig in den kleinen und großen Ereignisse des Romans hintergründig
mitlaufen lässt, als Ursache all des Verhaltens und damit, wie nebenbei, den
inneren Zerfall und Absturz gerade seines Ich-Erzählers eindrucksvoll
nachvollzieht.
Manchmal zu nebenbei. Wie erwähnt, wichtige Entwicklungen wie die Hinwendung
zur Religion beschreibt Sous nicht, sondern setzt sie dem Leser einfach
plötzlich vor. Eine Sprachlosigkeit untereinander, eine innere Distanz, die in
dieser Intensität dann doch teils einfach auch unrealistisch wirkt. Auch der
plötzliche Jobverlust deutete sich zwar an durch die lethargische Haltung des
Journalisten, in dieser Form wie im Buch ist dies allerdings ebenfalls kaum
glaublich. Wohin das aber alles führt, wie sich das Finale des Buches
gestaltet, dass ist wieder ein in sich stimmiger Paukenschlag, eine Explosion an
Aktion, die man der Hauptfigur kaum mehr zugetraut hätte und die doch wieder,
das Drama der Geschichte eben, in die falsche Richtung losgeht und die Falschen
eigentlich trifft.
Fazit
Dietmar Sous legt eine Studie eines inneren Zerfalls vor, in der die
Unfähigkeit, das eigene Innere auszudrücken und mit dem Lebenspartner in eine
echte Kommunikation zu treten einen immer schneller voranschreitenden
Lebensverlust nach sich zieht. Beiläufig fast geschildert, hier und da mit
Längen und wenig realistischen Einwürfen, durchaus aber den Leser mit auf
diese tragische innere Reise nehmend.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 25. Februar 2012 2012-02-25 11:45:50