Der Roman "Die Konkurrentin" von Hans-Werner Kettenbach hat mich
enttäuscht. Da ich begeistert war von "
Davids Rache" und "Der
Pascha" hatte ich mich auch auf den neuen Kettenbach gefreut. Beschrieben
werden die Auswirkungen eines kommunalen Machtkampfes einer Frau auf deren
Familie. Lene Anweiler möchte Bürgermeisterin einer Großstadt (die
Anspielungen auf Kettenbachs Heimatstadt Köln sind vorhanden) werden. Doch
dafür muss sie zunächst von ihrer konservativen Mehrheitspartei nominiert
werden. Lene Anweiler ist als Außenseiterin eher dem gemäßigten Flügel ihrer
Partei zuzurechnen. Günther Nelles, skrupelloser Immobilienmakler, ist Kandidat
des rechten Parteiflügels. Er gilt als rücksichtslos und scheut vor üblen
Intrigen nicht zurück. Dies wird auch durch Schilderungen aus seiner
Vergangenheit verdeutlicht. Wird sich Lene durchsetzen? Welche Auswirkungen hat
der Machtkampf auf ihre Persönlichkeit? Wie wird sich die Beziehung zu ihrer
Familie gestalten? Diese Fragen stellt sich ihr wesentlich älterer Mann
Raimund, 71, Arzt im Ruhestand. Er sieht die Entwicklung mit zunehmender Sorge,
zumal er in einem Alter ist, in dem das Ruhebedürfnis wächst. Lena respektiert
seine Wärme und Anlehnung, hält ihn allerdings für unpolitisch. Kettenbach
gelingt es erneut, die "Ängste der bürgerlichen Mittelschicht"
plausibel darzustellen. ähnlich wie Oberstudienrat Kästner in "
Davids Rache" könnte man von
Ängsten eines Spießers sprechen, die zum Teil schwer nachvollziehbar sind. Was
bei Kästner in dem anderen Buch allerdings in Verfolgungswahn ausartet, wirkt
hier plausibler und weniger aufgesetzt. Die Sorgen Raimunds werden jedoch sehr
subtil beschrieben: "Mag sein, daß das alles nur Alpträume, nur
Hirngespinste sind", lässt Kettenbach seinen Protagonisten auf S. 145 der
gebundenen Ausgabe aussprechen. "Aber darauf kann ich mich nicht verlassen.
Wenn ich meine Frau vor Schaden bewahren möchte, und das will ich unter allen
Umständen, dann wird es höchste Zeit, dass ich etwas tue." So weit, so
gut. Hier sind die Ähnlichkeiten zu seinen früheren Romanen evident: gleicher
Aufbau, gleiche Art der Darstellung (Wahl der "Ich"-Form), Steigerung
der Spannung. Dennoch blieb bei mir Enttäuschung zurück. Mir ist der Roman zu
lang (522 Seiten gegenüber 290 Seiten bei "Davids Rache" oder 352
Seiten beim "Pascha".) Es bleiben auch zu viele Aspekte
"offen". Der Leser möchte natürlich wissen, warum sich die Dinge so
entwickelt haben, wie sie dargestellt werden. Vieles bleibt Spekulation, einiges
offen. So harrt etwa eine der erwähnten Erlebnisse aus Lenes Leben, die deren
Gegner in die Öffentlichkeit bringen, der endgültigen Aufklärung. Es geht um
den mysteriösen Freitod eines früheren Klassenkameraden namens Uli, der Lene
liebte. Er hat sich, da seine Liebe nicht erwidert wurde, von der Burgmauer
gestürzt. Die stärker auf die Realität bezogene Schilderung der Sorgen
Raimunds (im Gegensatz zu dem Verfolgungswahn Kästners in "Davids
Rache") hat jedoch seinen Preis: die atemberaubende Spannung fehlt. Die
Schilderung wirkt hier stellenweise langatmig und meines Erachtens - zumindest
zeitweise - recht lustlos. Es kommt mir vor, als habe der Autor einen Plot mit
viel Elan begonnen und eher pflichtgemäß und lustlos beendet. Um nicht
missverstanden zu werden: stilistisch ist dies - wie alle früheren Romane des
Autors - ein gutes Buch, man merkt Kettenbach seine journalistische Ausbildung
an. Der Mann "kann" schreiben und auch hier durchaus Spannung
erzeugen. Nicht umsonst vergleicht ihn etwa Jochen Schmidt - nicht als einziger
- in seinem 1988 erschienenen Krimi-Standardwerk "Gangster, Opfer,
Detektive" mit Patricia Highsmith, einer Autorin, die ich selber nicht so
mag: "Vom durchschnittlichen Whodunit entfernt er sich ein gutes Stueck in
Richtung Patricia Highsmith und ihres sanften Schreckens. Auf diesem Weg ist
Kettenbach der Meisterin des Psychothrillers so nahe gekommen wie kein anderer
deutscher Autor." Dies gilt nicht nur für die oben erwähnten
Spannungselemente. Kettenbach schreibt nicht nur Krimis, seine Romane sind auch
Gesellschafts- und Sozialromane über den Zustand der bürgerlichen
Mittelschicht in der (alten) Bundesrepublik. Dies gilt besonders für "
Davids Rache", in dem die
Ängste eines Spießers meisterhaft dargestellt werden. Aber hier? Dasselbe
Schema wie bei den früheren Romane wirkt hier nicht mehr. Neben den oben
genannten Gründen liegt dies meines Erachtens nach am Umfang und der Vielfalt
der angesprochenen Themen des Werkes. Spannung wird erzeugt, wenn sie
nachvollziehbar ist. Dies setzt voraus, sie im "Rahmen" zu halten.
Dies ist Kettenbach nach meiner Auffasung hier nicht so gelungen wie in seinen
frueheren Romanen. Es kommt sogar eine gewisse Betulichkeit auf, viele Szenen,
etwa im familiären Bereich, erscheinen mir überflüssig und hemmen Handlung
und Erzählfluß. Enttäuscht habe ich "Die Konkurrentin" daher zur
Seite gelegt. Er ist von der Spannung her nicht mit den früheren Romanen des
Autors zu vergleichen. Ein "Zuviel" an Wiederholung kann enttäuschen.
Diesen Eindruck hatte ich von Kettenbachs Roman, der - ich will es nochmals
wiederholen - stilistisch nach wie vor zu den besten deutschen Gegenwartsautoren
zählt.