Surreale Forschungsreise in den brasilianischen Urwald
"Marina hatte das Gefühl, dass ihr Kopf zerschmolz und die Sonne in ihr
Hirn vordrang und die Windungen lockerte".
Ein Gefühl, das nicht nur die weibliche Hauptperson Marina Singh des neuen
Romans von Anne Patchett in der glühenden, schwülen Hitze Brasiliens in sich
trägt, sondern das ein stückweit auch die Atmosphäre, den Grundton des Romans
beschreibt. Wie taumelnd erlebt der Leser zu Zeiten die Reise Marinas nach
Brasilien zu dem Zweck, ihre ehemalige Dozentin und Professorin der Medizin, Dr.
Swensons mitten im Urwald ausfindig zu machen.
Vordergründig, um den Tod Anders Ekmans, eines der Mitarbeiter des
Pharmaunternehmens (ein enger Bekannter Marinas) näher zu beleuchten, der vor
Marina auf den Weg nach Brasilien geschickt wurde. Der scheinbar Dr. Swensons
fand (die sich ansonsten jeder Kommunikation mit der Firma Vogel, dem Finanzier
der Forschungen) verweigert. Ein großes Problem, denn seit langem schon hat Mr.
Fox (Vorstandsvorsitzender und heimlicher Geliebter Marinas) die Zulassung eines
neuen Medikaments angekündigt, welche besagte Dr. Swensons mitten im Urwald
erforscht. Hoffentlich erforscht, denn genaues weiß niemand über die Vorgänge
in der Forschungsstation.
Noch nicht einmal als geklärt wird sich herausstellen, ob Anders Ekman wirklich
gestorben ist, denn eine Leiche findet Marina nicht, als es ihr nach langen
Wegen, viel Geduld und Beharrungsvermögen gelingt, überhaupt die Forscher im
Urwald ausfindig zu machen.
"Fruchtbarkeit bis ins hohe Alter", das ist das äußere, medizinische
Thema, um das der Roman kreist und das durchaus, allerdings erst nach fast der
Hälfte des Buches, ein wenig konkreter in den Blickpunkt der Ereignisse tritt.
Der eigentliche rote Faden des Buches allerdings ist die, zwischen Traum und
Wirklichkeit, Taumeln und nüchterner Überlegung angesiedelte
Auseinandersetzung der Hauptfigur Marina Singh mit sich, mit ihrer eigenen
Geschichte, mit ihren aktuellen Verhältnissen und Wünschen. Was ist diese
Beziehung zum 61jährigen Mr. Fox für sie wesentlich jüngere Frau? Was sind
diese immer wiederkehrenden Alpträume über ihren Vater und andere
Schrecklichkeiten? Wenn nur das erbarmungslose Klima ihr nicht immer den
Verstand fast wegbrennen würde. Als Marina ein verstecktes Dorf findet, Zentrum
der Forschungen im Urwald, kulminieren die Zutaten von Klima, Mystik und eigenen
Emotionen zusehends.
Trotz bildkräftiger Sprache und beständiger Reflektion vor allem der Emotionen
Marinas, trotz vielfacher Beschreibungen, ein Eindruck der Vagheit verbleibt
doch während und nach der Lektüre des Buches. So, als wäre der rote Faden,
die einzelnen Personen (bis auf wenige Aufnahmen), genauso wenig wirklich zu
fassen und genauso unscharf, wie es Marina selber vielfach im Buch innerlich wie
äußerlich bedrängt ergeht, trotz aller Vielfalt der Beschreibungen. Lange
auch dauert es, bis die eigentliche Geschichte um die Forschungsstation im
Urwald Fahrt aufnimmt (und doch immer wieder auch schnell wieder zu zerfasern
droht). Länger, als nötig gewesen wäre, denn allzu viel an Ereignissen
erzählt Patchett nicht unbedingt, sondern nutzt die Seiten des Buches von
allem, um ihre Protagonisten aus allen Winkeln her zu beleuchten. Fern aller
exotischen Romantik. Äußerst real ist das Klima, das Umfeld, die Menschen, die
Lebensverhältnisse in Brasilien und es gelingt Patchett gut, die Belastungen
und Folgen derselben allein schon durch das Klima fassbar in den Raum zu
stellen.
So hat das Buch, neben dem interessanten pharmazeutischem Thema, neben der
Darstellung moderner pharmazeutischer Forschung und neben der umfassend und
bildreich dargestellten inneren Entwicklung der weiblichen Hauptperson auch
Längen und Umständlichkeiten aufzuweisen, die es manches Mal genauso zu
überstehen gilt, wie Marina die stechende Sonne und die schmelzende Hitze zu
überstehen hat.
Fazit
Ein interessantes Thema, eine bildkräftige Sprache und ein höchst exotischer,
sehr real dargestellter Ort der Handlung mitsamt gelebter und inne liegender
Mystik sind die anregenden Elemente des Buches. Längen, umständliche Wege der
Figuren im Buch und, bei aller anregender Sprache, ein Gefühl leichter
Unschärfen stört hier und da die Lesefreude aber durchaus.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 06. Februar 2012 2012-02-06 13:55:16