Lioba, Anfang vierzig, engagierte Künstlerin in Berlin, steht kurz vor ihrer
ersten Ausstellung in einer Galerie. Sie hat eigentlich alles, was eine Frau
braucht, die selbstbewußt im Leben steht - Erfolg im Beruf, eine Freundin, der
man sein Herz ausschütten kann, wann immer es erforderlich ist und einen
smarten Liebhaber, der die erotische Seite des Lebens abdeckt, wenn auch nur
bedingt, da er unmissverständlich verheiratet ist. Zu ihrer in Köln lebenden
Mutter hat sie seit Jahren keinen Kontakt mehr. Es herrschte immer ein Gefühl
der Distanz zu ihr und ebenso zu ihrer Vergangenheit, über welche die Mutter
nie ein Wort verlor, ebenso wenig wie über Lios Vater, der in ihrem Leben nicht
zu existieren schien. Als Lioba erfährt, dass sie schwanger ist, beschließt
sie noch einmal, die Mutter danach zu fragen, auch weil sie glaubt, es dem
kommenden Kind schuldig zu sein, da ein Mensch ein Anrecht auf seine
Vergangenheit hat. Diesmal wird sie es der Mutter nicht erlauben, sich mit
Ausflüchten der Frage zu entziehen. Sie schickt ihr eine Einladung zur
Vernissage, fest gewillt, dieses Treffen zu nutzen. Allerdings vereitelt das
Schicksal ihr Vorhaben. Die Mutter erkrankt schwer, und Lio wird in die Rolle
der Helfenden gedrängt, die nun das Leben der Mutter erkundet, wodurch auch in
ihrem eigenen Leben nichts mehr bleibt wie es ist.
Mila Lippke hat einen wunderbaren Roman geschrieben. Dieser Satz, der vielleicht
ans Ende meiner Ausführungen gehört, kann einfach nicht so lange warten!
Auf der Basis intensiver Recherchen und umfassender Kenntnisse der verschiedenen
Situationen und Ereignisse formte die Autorin ein fesselndes Stück
Menschenleben und Geschichtskunde. Mit flüssiger, fantasievoller, farbenreich
ausgestatteter Sprache nimmt sie den Leser mit und läßt ihn verschiedene
Horizonte des Daseins erleben. Anfänglich von zwei Ebenen aus gesehen, die jede
für sich faszinierend und ungeheuer einfühlsam gestaltet ist, verbindet sich
zum Ende hin alles miteinander, so wie es eigentlich von Beginn an bestimmt war
- Eines abhängig vom Anderen, sowohl in der Verletzung als auch in der
Bewältigung und Heilung.
Viel wurde schon über das cover gesprochen. Ich finde, dass es trotz des
hübschen, ansprechenden Motivs dem Buch nicht zur Genüge gerecht werden kann.
Es ist so, als ob man nur einige harmonische Töne hört, ungeahnt der Tatsache,
welche Sinfonie sich dahinter verbirgt.
Fazit
"Morgen bist du noch da" heißt dieses Buch, das den Leser anders
entlässt als es ihn angenommen hat - ich glaube, eine wichtigere Rolle kann ein
Buch nicht spielen. Und vor Allem gibt es uns Hoffnung mit auf den Weg, ganz
gleich was immer geschehen sein mag, denn "morgen ist das, was noch
kommt", sagt es uns an einer Stelle, und "morgen", das ist die
Zukunft.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 03. Februar 2012 2012-02-03 12:02:05