Die mögliche Zukunft des Social Networking
Ed Rosen ist IT-Fachmann und ein sehr begabter, keine Frage. Und Professor
Matana mit seiner Firma genau der richtige Mentor für den, vom Leben auch ein
wenig geschlagenen Mann. Denn eines seiner Augen hängt schief in der
Augenhöhle. Nutzlos. Was ihn nicht hindert, mit der wunderbaren und attraktiven
Katelyn ein intensives Verhältnis zu beginnen. Und was ihn dafür
prädestiniert, ein neues Implantat der "Corporation" zu erproben, ein
künstliches Auge auf Smartphone-Basis.
Ein Auge, das Ed Rosen intensiv weiterentwickelt. Ein Sender tritt hinzu, mit
dem das, was er über dieses Auge sieht, abgespeichert werden kann. Der
Durchbruch aber ist die Entwicklung einer Zwei-Wege Kommunikation des Auges. So
dass es möglich wird, Gesehenes, Erlebtes, sich wieder und wieder "vor
Augen" zu führen (Replay). Dass die Technik hierbei nicht stehen bleibt,
dass digitale Welten plötzlich direkt (im Kopf) zur Verfügung stehen und dass
immer mehr Menschen dieses Implantat für sich erwerben, das ist die logische
Folge. Nicht unbedingt logisch aber ist es, dass es für das Gerät keinen
Ausschalter gibt. Oder, wenn doch, dann nur für ganz wenige Träger des
Implantats. Mit ungeahnten Folgen für die "freie" Gesellschaft. Die
völlig transparent nun wird. Eine Transparenz, die nicht jeder, auch nicht jede
der Hauptfiguren, auf Dauer erträglich finden wird.
All dies sind Ereignisse und Entwicklungen, die der Leser im gesamten Buch
allein aus der inneren Perspektive des Protagonisten heraus erfährt. Eine Form
von äußerer, erzählter Geschichte oder ein Wechsel der Perspektiven tauchen
im Rahmen der 170 Seiten des Buches nicht auf. Eine Geschichte, die von Rosen im
Buch zudem, was zu Beginn nicht ganz deutlich wird, im Rückblick erzählt. Eine
Geschichte, in der Pan mit seinem Ziegenunterleib eine gehörige, durchaus
"gehörnte" Rolle spielen wird. Eine Bedeutung, die Stein geschickt
einfließen lässt und dem Leser erst spät im Buch eröffnen wird.
Die Wahl dieser Perspektive ermöglicht es, gemeinsam mit der hervorragenden
sprachlichen Qualität des Buches, dem Leser, intensiv und hautnah beschrieben
in die Erlebnisdichte und Erlebniswelt Rosens einzutreten. Gerade die erotischen
Komponenten im Buch tauchen so in lebhafte Farben. Stein allerdings gelingt es,
trotz aller Deutlichkeit der Beschreibungen, gerade diese Sequenzen tatsächlich
im erotischen statt im platt-sexuellen Bereich zu halten. Und immer gelingt es
Stein, einen doppelten Boden zu ziehen, Bilder hinter Bildern auftauchen zu
lassen und damit durchaus eine verwirrend-interessante Atmosphäre herzustellen.
So zieht sich ein Schachspiel im Buch beileibe nicht nur über die Felder des
Brettes, sondern in Doppeldeutigkeit auch in Erlebniswelten der Protagonisten
herein und, wie im gesamten Buch, darüber hinaus in Grundfragen
gesellschaftlichen Seins. Grundfragen, zu deren Erörterung Stein auch Julian
Assange im Buch einen Platz zuweist. Allerdings, auch dies wieder fordert das
eigene Reflektieren des Lesers, beileibe nicht in einfachen Schwarz-Weiß
Schemata dargestellt.
Alle Wege aller Figuren im Umgang mit der "neuen Technik" und den
daraus folgenden inneren Erlebniswelten sind für sich verständlich und trotz
der völlig gegenteiligen Konsequenzen für jede der Figuren nachvollziehbar.
Was eine eigene Positionierung des Lesers letztlich erfordern wird. Soweit
Realität und Replay noch auseinander gehalten werden können, denn nicht immer
wirken die Handlungen und Folgen im Buch ganz logisch, gerade zum Ende hin
nicht. Und nicht völlig transparent, was sicher auch ganz gut so ist.
Fazit
Benjamin Stein legt eine "Reise nach Innen" vor, in der er fiktiv die
Digitalisierung der Welt weiterdenkt und differenziert bildreich an seiner
Hauptperson aufzeigt, welche inneren Entwicklungen eine zunehmende Transparenz
nach sich ziehen kann (und fast logisch wird). Sprachlich wunderbar umgesetzt
und daher gut zu lesen ist dies ein interessantes Thema für die Haltung und die
Folgen immer stärkerer und fast vollständiger Digitalisierung der Welt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 21. Januar 2012 2012-01-21 13:06:53