Um das Jahr 1400 gelangen mongolische Kundschafter im Dienst des Khans Timur auf
die ungarische Ebene. Doch anstatt blühender Städte - die zudem verlockende
Beute versprechen - finden sie nur das Grauen vor. Verlassene Städte, deren
Kirchen zu Leichenhallen wurden. Verlassene Höfe und Gebäude, menschleere
Gegenden. Den Kundschaftern wird bald klar was geschene ist: die Pest hat alles
Leben ausgelöscht - und nicht wie in "unserem" Mittelalter
"nur" 1/3 der Bevölkerung. Der Kundschafter Bold wird von seinem Volk
ausgestossen und pilgert durch den Balkan, besucht das einsame Athen und wird
schließlich von arabischen Sklavenhändlern gefangen genommen. Hier lernt er
den Sklaven Kyu kennen. Beide werden nach China gebracht, wo Bold nur in Ruhe
leben will, der zum Eunuchen gemachte Kyu hingegen nur ein Ziel kennt: Rache an
den Chinesen zu nehmen, die ihm dies angetan haben.
In den folgenden Kurzgeschichten wird das Leben verschiedener Personenen
erzählt, die in verschiedenen Zeiten leben - mal im Samarkand der beginnenden -
islamischen - Renaissance, dann wieder auf der Entdeckungsfahrt chinesischer
Seefahrer, die die neue Welt entdecken.
Eines ist immer gleich: es gibt verschiedene Charaktere, die die Inkarnation der
vergangenen Helden sind. Und noch eines durchzieht das Buch: die Geschichte wie
wir sie kennen, findet nicht statt. Europa ist zu 99 % entvölkert und wird von
Arabern wiederbevölkert, während China zu einer Großmacht ungeahnten
Ausmasses wird - noch dazu zu einer Kolonialmacht. Doch der labile Friede endet
in der letzten - von insgesamt zehn - Kurzgeschichte, in der es zum
"Großen Krieg" kommt.
Fazit
Robinson hat mit seiner "Mars"-Trilogie den internationalen Durchbruch
geschafft. Er gilt ausserdem als Vertreter der utopischen Weltanschaung. Davon
trotzt "The Years of Salt and Rice" (im Chinesischen werden so die
Jahre bezeichnet, die die Kinder im Haus der Eltern verbringen), von
Anspielungen: es gibt keinen Kolonialismus in unserem Sinne, keine blutigen
Kriege- wenigstens nicht zu Anfang.
Ohne Europa ist die Welt glücklicher - so scheint zumindest die oberflächliche
Botschaft des Buches zu sein. Doch der Schein täuscht, denn ein gewisser
Kulturpessimusmus scheint am Ende des Buches durch.
Ich persönlich war nicht ganz glücklich mit dem Buch. Lässt man mal die
historischen Ungereimtheiten bei Seite (warum sollte Europa leergefegt sein und
die islamischen Anrainerstaaten verschont geblieben sein? - so war es im
Mittelalter eben nicht. Und was ist mit Byzanz und der sehr unwahrscheinlichen
Todesquote...), auch inhaltlich gibt es Anlass zur Klage.
So sind die ersten Kurzgeschichten noch hervorragend, doch die späteren lassen
deutlich nach, teilweise erweisen sie sich eher als philosophische Disputationen
(gegen die ich nichts habe), die jedoch nirgendwo wirklich hinführen.
Ausserdem extrapoliert Robinson unsere Vergangenheit auf seine Utopie - wo es ja
kein Europa gab. Eine Renaissance ohne die europäische Vergangenheit,
geschweige denn eine Aufklärung, sind recht unwahrscheinlich. Und dies ist kein
Eurozentrismus, sondern nur historische Realität (denn in der islamischen Welt
wartet die Aufkärung noch heute auf sich - ohne jemanden zu nahe treten zu
wollen).
Kurz: Die Faktizität und inhaltlichen Schwankungen verderben Robinson eine zu
hohe Wertung. Doch um gerecht zu sein: seine ersten Geschichten sind
hervorragend. Persönlich würde ich die Wertung gerne splitten (erster Teil: 9
Sterne, zweiter Teil: 5-6), doch so muss ich mich zu 7 durchringen. Schade...es
hätte etwas Großes werden können, so ist es "nur" gut.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 01. Oktober 2003 2003-10-01 13:13:41