Sehr gespannt war ich auf die neue Biographie über den russischen Präsidenten
Putin, nachdem ich bisher alle erschienenen Putin-Biographien gelesen hatte. Ich
muss leider sagen, dass diese Biographie die bei weitem schlechteste ist. Sie
steckt voller Lobhudelei und die Denkeinstellungen und Grundhaltungen des
Präsidenten, seine Prägungen werden nicht deutlich. Hatte Alexander Rahr in
seíner meisterhaften Biographie diese Leistung vollbracht und verdeutlicht,
dass Putin sowohl von Sobtschak, dem früh verstorbenen Bürgermeister von St.
Petersburg als auch vom KGB und dessen Geheimdienstmentalität geprägt worden
ist, so zeigte Wolfgang Seiffert ansatzweise ein Programm des zu jener Zeit
gerade ins Amt gekommenen Staatschefs auf. Wie hat sich Putin seitdem entwickelt
und auf wen stützt er sich? Zwar gibt es kurze Überblicke über die Mannschaft
des Präsidenten. Johannes Voswinkel hat jedoch treffend in der Literaturbeilage
der "Zeit" erklärt: "Treffende Details und ausrecherchierte neue
Erkenntnisse sind selten. Das wäre zu verschmerzen, wenn die Analyse tiefer
ginge und die Vielfalt der Information eine bessere Einordnung erführe."
Dies stimmt genau und so empfinde ich es auch. Es fehlt jede Art von Struktur
und Putin wird lediglich positiv als Stabilisator Russlands dargestellt. Dass es
unter dem Präsidenten auch negative Entwicklungen gegeben hat, wie sie
Voswinkel unter dem treffenden Titel: "Demokratur, putinesisch"
kürzlich in der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 25. September 2003
zutreffend schilderte, nämlich die Rückkehr zu einer Diktatur durch
rücksichtslose Kontrolle der Medien, Einschüchterung und Entlassung
politischer Gegner, Führung eines grausamen Krieges in Tschetschenien, die
Forcierung der Unterordnung der Gesellschaft unter den Staat - welche das
Rückgängigmachen der demokratischen Anfangsreformen Gorbatschows bedeutet -
wird schlicht ignoriert, der "Staatsmann Machiavelli" (S. 320) völlig
unkritisch gefeiert. Ich habe mich gefragt: hat Putin diese Biographie bestellt?
Handelt es sich bei dem Autor, er ist Journalist und Wirtschaftswissenschaftler,
um einen Freund des Präsidenten? Wie auch immer: trotz der Darstellung - eine
tiefergehende Analyse fehlt - außen- und innenpolitischer Entwicklungen fragt
man sich am Ende ratlos: Wer ist Putin? Wie Wolfgang Leonhardt in seinem Buch:
"
Was haben wir von Putin zu
erwarten?" korrekt schreibt, bleibt Putin ein Rätsel. Die Politologin
Irina Scherbakowa sprach es aus: "Und Putin ist...ein großes
Fragezeichen..." und der Feststellung von Gerhard Wettig, es seien keine
zivilgesellschaftlichen Strukturen entstanden, gilt heute nach wie vor. Rußland
ist nach wie vor eine "nichtzivile Gesellschaft" (Sonja Margolina) und
Putin ist nicht gewillt, daran etwas zu ändern. Natürlich war das Bedürfnis
nach "Ordnung" und "Stabilität" nach Jelzin, wie zahlreiche
Untersuchungen zeigten, besonders stark ausgeprägt und Putins Erfolgsgeheimnis
scheint zu sein, dass er diesen diffusen Erwartungen gerecht wird. Doch über
solche Fragen denkt Timoschenko nicht nach, das Wort
"Zivilgesellschaft" findet sich vergebens. Auch eine gute Darstellung
über die Außenpolitik und die ausführlich geschilderte Hinwendung des
Pragmatikers Putin zu den USA nach den Terroranschlägen des 11. September
machen diese Versäumnisse nicht wett. Der rote Faden fehlt meiner Meinung nach
völlig. Voswinkel schreibt völlig zu recht: "Ich vermute, wir kennen
Putin noch gar nicht", schreibt Timtschenko. Leider fügt sein Buch dem,
was wir wissen, wenig Neues hinzu." Dem stimme ich vollkommen zu. Wer ist
Putin? Dieser Frage kommt die vorliegende Biographie nicht näher. Wer hierüber
näher Auskunft haben möchte, sollte die oben genannten Putin-Biographien von
Alexander Rahr und
Wolfgang Seiffert und den
erwähnten Band von
Leonhard: "Was haben wir von
Putin zu erwarten?" lesen, die - obwohl bereits zwei Jahre alt - bis heute
zum besten gehören, was über das Russland Putins geschrieben wurde. Wer
darüber hinaus noch detaillierte Informationen über Russland unter Putin
benötigt, ist am besten mit dem 2001 erschienenen Sammelband: "Russland
unter neuer Führung: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am Beginn des 21.
Jahrhunderts" aus dem Agenda-Verlag Münster bedient.
Fazit
Leider nur eine mittelmäßige Biographie.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 29. September 2003 2003-09-29 14:18:06