Umfassende Werkschau samt Rezeptionsgeschichte
Zeit wurde es durchaus für diese umfassende Werkschau und den fundierten Blick
auf die Wirkung des Werkes der Hannah Arendt, eine der profilierten und
einflussreichsten philosophisch-politischen Denkerinnen der jüngeren Zeit der
europäischen Geistesgeschichte.
Eine Frau, deren Schriften in der Thematik breit und umfassend gefächert
vorliegen. So breit und umfassend, teils auch in innerer Entwicklung sich
verändernd, dass es sicherlich, wie auch die Herausgeber betonen, kaum möglich
ist, das Werk in systematischer Geschlossenheit darzubieten. Von Beginn an
zollen die Herausgeber und Autoren des Handbuches der offenen und dialogischen
Form des Denkens (und Schreibens) von Hannah Arendt Rechnung. Eine offene Form,
die sich in den vielfältigen Ansätzen und den diversen, individuellen
Perspektiven der Beiträge im Buch niederschlägt. Bei der Darstellung bezieht
sich das Handbuch dabei grundlegend nur auf von Arendt selbst autorisierten
Publikationen. Eine technische Vorgehensweise, die sich eng an die Intentionen
von Hannah Arendt hält und als Grundlage eines Handbuches gerade im Blick auf
die immense Breite des "sich zu Worte Meldens" der Hannah Arendt
durchaus Sinn macht.
Wichtig zu betonen ist, dass das Handbuch in bester Form gerade jene kritische
Auseinandersetzung aufnimmt, welche Hannah Arendts Denken wohl maßgeblich
geprägt hat. Die, durch ihre Flucht aus Deutschland bedingte,
Auseinandersetzung und Reflektion mit anderen philosophischen und
politisch-theoretischen Ansätzen. Eine Auseinandersetzung, die sich in der
Zweisprachigkeit des Werkes von Arendt niederschlägt und hier durchaus die
jeweiligen Denkstrukturen und Diskurse beider "Welten" nachzeichnet
und weiterführt. Ein Wechsel in den "Denkwegen" deutscher und
englischer Traditionen.
Im Aufbau wirft das Buch zunächst einen knappen Blick auf die biografischen
Stationen des Lebens von Hannah Arendt und bietet sodann in breiter Form eine
differenzierte und detaillierte Darstellung der Werke und Werkgruppen. Dies, wie
im gesamten Aufbau des Handbuches, dem chronologischen Faden folgend, beginnend
mit frühen Schriften (der Liebesbegriff bei Augustin) über die
Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus zunächst mündend in die
"Denkwege einer Politischen Theorie" samt der bekannten und
gründlichen Aufarbeitung der Gedanken von Karl Marx. Aus diesen grundlegenden
Elementen für das Denken Hannah Arendts entfalten sich die Essenzen ihrer
Erkenntnisse in die kritische reflektierende "Begleitung" der (nicht
nur amerikanischen) Republik mitsamt den mahnenden Blicken auf die "Lüge
in der Politik" und die innerliche Begründung für einen immer
gerechtfertigten "Zivilen Ungehorsam".
Betrachtungen des Spätwerkes "Vom Leben des Geistes" und "Das
Urteilen" runden, mitsamt einer ausführlichen Darstellung wesentlicher
Briefwechsel (u.a. mit Heidegger, Jaspers, Johnson) diesen breiten Hauptteil des
Handbuches ab.
Die innere Entwicklung Hannah Arendts und die Einordnung ihrer Denkgebäude in
das "große Ganze" der Philosophie, Literatur und politischen Theorie
zeichnet der dritte Hauptteil des Handbuches nach. Vielfältige innere
"Konstellationen" breiten sich vor dem Leser in der kritischen
Reflektion Hannah Arendts der Werke anderer aus. Von den antiken
"Größen" wie Platon, Aristoteles, Cicero und anderen über Augustin,
Macchiavelli, Hobbes und Rousseau bis hin zu Kant, Burke und Hegel wird die
Rezeption der klassischen philosophischen Systeme dargestellt, Marx, Nietzsche,
Luxemburg, aber auch Rilke und Kafka stehen wie Jaspers und Brecht für die
Auseinandersetzung mit gegenwartsbezogenen philosophisch-politischen
Denksystemen und literarischen Verarbeitungen. In diesem dritten Hauptteil, im
übrigen sehr gut zu lesen und knapp und präzise jeweils dargestellt, breitet
sich die ganze Fülle der Verwurzelungen von Hannah Arendt aus, die in ganz
eigener Form dann als Synthese durch Arendt in das eigene Denken und die eigenen
Ansätze transformiert wurden.
Eine Synthese, welche der vierte Hauptteil des Buches unter der Überschrift
"Begriffe und Konzepte" ausführlich in den Blick nimmt, in fast
ausufernder Vielfalt ordnet und in sehr knapper Form fast lexikalisch
erläutert.
Die Rezeption des Werkes bildet den abschließenden fünften Hauptteil des
Handbuches. Dieser vertieft noch einmal den gewonnen Eindruck, dass von der
Politik über die Dichtung bis hin zu Feminismus und Globalisierung die Gedanken
Hannah Arendts in jeden wesentlichen Teil des öffentlichen Lebens Eingang
gefunden und Einfluss genommen haben.
Das Handbuch bietet in seinem strukturierten Aufbau, trotzdem es die Offenheit
und dialogische Verfasstheit des Denkens von Hannah Arendt nirgends schmälert,
einen doch hervorragend systematischen Blick auf die Breite und die Tiefe des
Werkes. Die Arbeit in dialogischer, offener, oft auch fragmentarischer Form, die
Hannah Arendts Stil prägt als ein "Denken ohne Geländer", erhält
hier zumindest eine grobe Einrahmung, die eine Orientierung des Lesers
wesentliche vereinfacht.
Fazit
Das Handbuch ist ebenso eine Bereicherung für jeden Leser, der sich mit der
neueren Denkgeschichte an, mit und durch die Person Hannah Arendts vertraut
machen möchte, wie für reinweg vielleicht nur an Hannah Arendt selbst
interessierte Leser. Es bietet einen profunden Einblick in den Ansatz von
Pluralität des Handelns und Urteilens, für die Arendt grundlegend stand und in
der sie den "Garanten einer Weltverbundenheit" gesehen hat.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 04. Januar 2012 2012-01-04 13:58:08