Zoe lebt zusammen mit ihrer allein erziehenden Mutter und dem jüngeren Bruder
Leon. Da Zoes Mutter als Krankenschwester im Schichtdienst arbeitet, muss die
Sechzehnjährige häufig ihren Bruder betreuen und ihre eigenen Unternehmungen
abschreiben. Der Plan von Zoes Sportlehrerin, sie als Leichathletin in eine
Elite-Trainingsgruppe aufzunehmen, sorgt für Sprengstoff in der kleinen
Familie, weil dann die Mutter Rücksicht auf Zoes Trainingstermine nehmen
müsste. Zoe ist ohnehin gerade genervt, weil David, von dem sie sich vor kurzem
getrennt hat, mit ihrer ehemals besten Freundin Ellen zusammen ist. Die
sportliche Zoe hat sich in letzter Zeit verändert; sie reagiert so extrem auf
Gerüche, dass ihre Mutter unterstellt, Zoe könnte schwanger sein.
Aus einer zweiten Erzählperspektive, die durch einen eigenen Schrifttyp von
Zoes Sicht abgegrenzt wird, erfahren wir von zwei Männern, Yrves und French,
die Zoe beobachten. Die Stadt ist unsicher geworden, seit rätselhafte
Todesfälle berichtet werden, bei denen das Opfer durch die Straßen gehetzt
wurde, bis es sich in Panik in den Tod stürzte. Eine Person sorgt sich um Zoe,
schreibt ihr Mails mit Ratschlägen, welche Bereiche der Stadt für sie sicher
seien. Das Rästeln, ob diese Person Freund oder Feind ist, zieht die
Spannungsschraube im Roman kräftig an. Auf welcher Seite die beiden Männer
stehen, bleibt lange rätselhaft. Allmählich erkennt Zoe, dass sie die
besondere Gabe hat, sich in eine Raubkatze zu verwandeln. Wenn die Verwandlung
geschieht, wird sie Zoe nicht bewusst. Sie kann stets nur nachträglich
vermuten, dass sie wieder einmal mit ihrem Katzenschatten verschmolzen ist und
ihre Raubtierinstinkte geweckt wurden. Da Zoe und ihre Mutter sich Zuhause nur
selten begegnen, konnte das Mädchen die beunruhigenden Zustände bisher
verheimlichen. Als Zoe sich nach einer Verwandlung in atemberaubender Höhe in
einer Brückenkonstruktion wiederfindet, gehört sie endgültig zu den Katzen.
Die "Panthera" bilden ein kleine Gemeinschaft mit besonderem
Ehrenkodex. Die unheimlichen Todesfälle in der Stadt führen zu gegenseitigem
Misstrauen innerhalb der Gruppe; jeder von ihnen könnte der Täter sein oder
auch das nächste Opfer. Eine interessante Verknüpfung besteht zwischen Zoe,
der Gemeinschaft und einem alten Mann, für den Zoes Mutter Besorgungen
erledigt. Der alte Rubio hat alle Zeit der Welt, die geheimnisvollen Vorgänge
von seinem Fenster aus zu beobachten und zu dokumentieren.
Trotz der klaren optischen Trennung der Erzählerstimmen und Bewusstseinsebenen
tappt man als Leser in der gespannten Atmosphäre des gegenseitigen Belauerns
unter den Panthera geraume Zeit im Dunkeln. Die Frage, wie die Gruppenmitglieder
zu ihren Raubkatzenschatten gekommen sind, wird erst zum Ende des Buches
beantwortet. Dass gerade die sportliche Zoe zur Katze wird, wirkt durchaus
glaubhaft. Besonders gelungen finde ich Zoes Familienleben, ihren mutigen
Einsatz für ihre Interessen in der Auseinandersetzung mit ihrer Mutter und ihr
fürsorgliches Verhalten gegenüber Leon, dem trotzigen kleinen Ungeheuer, das
sich nachts vor Räubern füchtet.
Fazit
Als Großstadt-Krimi mit Gestaltwandlern erfordert Schattenauge Konzentration
beim Lesen und ist keine leichte Lektüre, wie einige sie von diesem Genre
erwarten werden.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 12. Dezember 2011 2011-12-12 18:25:05