Erinnerungsforschung mit europäischem Blick
Europäische Gemeinsamkeiten und symbolische Ort, an und in denen Europa sich
konstituiert, das sind die Betrachtungsobjekte dieses Buches und zwar in
vielfache Weise. Ein nicht leichtes Unterfangen, denn während es an nationalen
Mythen, und symbolischen Orten, an Erinnerungsstätten nicht mangelt in Europa,
sind jene verbindenden Orte nicht einfach zu finden. Sowenig, dass Wolfgang
Schmale einmal die Frage aufgeworfen hat, ob "Europa - im Sinne des
politischen Europas - nicht ans einem Mythendefizit scheitern werde".
Gut, dass im Lauf der Jahre auch ein "zweiter Blick" geworfen wurde,
denn es gibt sie durchaus, Orte mit europäischer Relevanz, Verortungen in
historischen Entwicklungen, die im Buch einer näheren Erläuterung und
Beschreibung nun in Auswahl zugeführt werden. Orte, denen, so definieren es die
Autoren, "während ihrer Genese bereits das Bewusstsein der Zeitgenossen
innewohnte, europäisch dimensioniert zu sein".
Im Aufbau des Buches strukturieren die Herausgeber nach Themen. Wobei das erste
Kapitel, der "Mythos Europa" (die Göttin Aphrodite sendet der Tochter
des Königs Agenor, Europa, einen Traum des Streits zwischen Asien und einem
andren, gegenüberliegenden Erdteil, der Göttervater Zeus entführt Europa nach
Kreta und zeugt Kinder mit ihr - Europäer) als Einführung in das Thema Europa
gelten kann. Im folgenden wenden sich die verschiedenen Autoren dem
"gemeinsamen Erbe", den "Grundfreiheiten", dem "Raum
Europa", der "Kriegserfahrungen und Friedenssehnsucht" und dem
"Wirtschaftsraum Europa" zu. Dieses Kapitel des
"Wirtschaftsraumes" als europäischer Erinnerungsort umfasst nur einen
Beitrag, ist aber sicherlich einer der zentralen Orte, der im Bewusstsein der
Europäer Raum findet. Nicht aufgrund aktueller Finanzkrisen, sondern alleine
schon aus dem Grund heraus, das die wirtschaftlichen Interessen sicher von
Beginn an, gerade nach dem zweiten Weltkrieg, zu den maßgeblich treibenden
Kräften einer europäischen Einigung über die Schaffung eines europäischen
Binnenmarkts gehörten. Hier weist Johannes Burkhard erweitern nach, das schon
die Fugger zu Beginn der Neuzeit viel von dem abdeckten, was auch heute noch zu
den Grundfesten europäischen Wirtschaftens gehört.
Aber auch das gemeinsame Erbe, immer in der Spannung zwischen nationaler und
europäischer Identität, wird im Buch breit aufgenommen und verweist auf die
langen geschichtlichen Linien, die über Konflikte, Kriege und Vorurteile
hindurch Europa allmählich mehr zueinander führten. Von der Antike angefangen
(ein geistiges Erbe, dass in ganz Europa anerkannt wird) über das Christentum,
das Judentum, den Islam, den Humanismus und die Aufklärung führen
Entwicklungslinien, Fortschritte und Rückschritte, die in Europa als gemeinsame
"Erinnerungsorte" im Bewusstsein in der ein oder andere Weise
verankert sind.
Das ein solcher "Erinnerungsort" auch in einer Vielfalt zu finden sein
kann, erstaunt im ersten Augenblick, beim näheren Hinsehen aber erschließt
sich ganz logisch zum Beispiel anhand der Sprachenvielfalt, dass auch eine
solche Vielfalt ein gemeinsamer "Erinnerungsort" sein kann. Indem die
Europäische Union eben jene "Vielfalt der Sprachen" als Kernelement
in ihre fundierenden Texte eingeschrieben hat.
Fazit
Wer auf konkrete geographische Orte aus ist, der wird in diesem Buch kaum
fündig werden. Wer allerdings konstituierende Räume und das Selbstverständnis
Europas prägende Entwicklungen wie die Aufklärung im Zusammenhang von
"Erinnerungsorten" auch abstrakter Natur in der Zusammenschau sehen
möchte, der ist mit diesem Buch durchaus gut bedient. Ein Buch, dass allerdings
aufgrund seiner wissenschaftlichen Sprache durchaus gesteigerter Konzentration
bedarf, dafür aber vielfache historische Linien zur Sprache bringt und somit
einen umfassenden Blick auf die Entwicklung eines "Europas" von der
Antike an wirft.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 05. Dezember 2011 2011-12-05 13:41:12