Die Fortsetzung für das "Mädchens ohne Namen"
Nach den Ereignissen des Vorgängerbuches in Santa Fe trifft der Leser nun
"Das Mädchen ohne Namen" (und ohne irgendwelche Erinnerungen ihres
Lebens an die Zeit von vor zwei Jahren), das sich selbst "Andi Oliver"
nennt, in der tiefsten Provinz in North Dakota wieder. "Für Jared
bedeutete Erinnerung nichts oder fast nichts. Für sie bedeutete es alles".
Andi Oliver ist schlicht und einfach auf der Suche nach sich selbst, hält sich
für sich, ist auf dem Weg nach Alaska, um dort vielleicht mehr zu erfahren
über sich selbst.
Ein Weg, der diesen Umweg nach "Kingdom" in North Dakota mit
einschließt. Ein Weg, das zeigt bereits der Anfang des Buches, den Martha
Grimes durchaus routiniert, aber sehr breit zu gestalten gedenkt. Sicher ist das
Buch in der Sprache flüssig zu lesen, in den Jahren als erfolgreiche
Schriftstellerin verstand es Grimes schon immer, mit klarer Sprache und
einfachen Worten ihre Personen zu skizzieren und eine Handlung voran zu
bringen.
Hier aber muss konstatiert werden, dass einfach sehr wenig, letztlich zu wenig
passiert. Und das im ganzen Buch. Am ehesten könnte man sagen, dass Andi Oliver
ihrer Liebe zu Tieren intensiv nachgeht. So misstrauisch (zu Recht aus ihren
Erfahrungen heraus) sie Menschen gegenüber ist, so intensiv wendet sie sich
emotional vor allem der "geschundenen Kreatur" zu. Und der Esel, den
sie zu Beginn des Buches aus untragbaren Zuständen heraus befreit ist dabei nur
das erste Tier, mit dem sie ihren aktuellen Weg verbindet und da zu einer
durchaus klar erkennbaren Kritik an Massentierhaltung im Buch noch führen
wird.
Das demgegenüber viele der Menschen (hier die Bewohner Kingdoms) zumindest
oberflächlich und dumpf ihrem Alltag nachgehen und außer anzüglichen Witzen
wenig zu bieten haben, oder eben direkt zudringlich werden (auch dies symbolisch
für das Buch geschieht direkt zu Beginn und wird als roter Faden weiterhin
durch die Seiten laufen) ist der Gegenpol zu Andi Oliver und jenen, mit denen
sie sich anfreundet. Was Wunder, dass sie zunächst als Hilfe auf einer Ranch
beginnt bei einem Mann, dem sie vertraut und unter Tieren, denen sie sich
zuwenden kann. Immer mit einem Blick auf den selbsternannten "Boss"
des Ortes und seine für Andi letztendlich unerträgliche Art, mit Tieren
umzugehen.
Doch die Vergangenheit, die Andi selber ja nicht kennt, holt sie auch in diesem
vergessenen Provinznest wieder ein. Ein Fremder taucht auf und stellt Fragen zu
Ereignissen aus der Vergangenheit, auf die Andi keine Antwort weiß. Was den
Fremden nicht sonderlich zufrieden stellt. Doch dieser Teil der Geschichte, der
ein wenig Spannung verspricht, aus dem heraus das Geheimnis um die Vergangenheit
des Mädchens zumindest ein wenig dramatisch in den Raum treten könnte, gerät
leider im Buch etwas zu kurz (ein Hinweis vielleicht auf eine weitere, geplante
Fortsetzung). Der Tierschutz, das leidenschaftliche sich einsetzen für
"humane" Lebensbedingungen für Tiere und einen wertschätzenden
Umgang mit diesen demgegenüber nimmt im Buch breiten Raum ist und ist jener
Strang der Geschichte, der hier und da für tatsächliche Gefahr für Andi
sorgt. Leider aber ist dieses Thema und die gewählte, einfache Erzählform
nicht ausreichend genug, um dauerhaft die Spannungs- und Entwicklungskurve der
Geschichte hoch zu halten. Zu stereotyp sind hier allein schon die Figuren
gestaltet. Fast ist bereits nach den ersten Begegnungen in der kleinen Stadt
klar, wie die Geschichte weiter verlaufen wird, wer Freund, wer Feind ist, wer
als dumpfer Jugendlicher keine Ruhe gehen wird und wer als "schwarzer
Reiter" die größte Bedrohung darstellt.
Alles in allem hat die Figur der Andi Oliver durchaus das Potential für eine
interessante "Selbstfindungsreise" in die eigenen, unbekannte
Vergangenheit, erschöpft sich aber in diesem Roman zu sehr in den (sicher
wichtigen, aber eben nicht sonderlich spannungstragenden) Ereignissen um einen
schlechten Umgang mit Tieren in vielfacher Form.
Fazit
Wer Martha Grimes vor allem als Autorin intelligenter und durchaus spannender
Kriminalromane zu schätzen gelernt hat, der wird hier eher enttäuscht werden.
Wer eine gradlinige Geschichte zu schätzen weiß und dem Genre des
"Erinnerung verloren und auf dem Weg zu sich selbst sein" mit
Interesse folgt, dem wird durchaus unterhaltsam der weitere Weg des
"Mädchens ohne Gedächtnis" in dieser eher Zwischenepisode vor Augen
gelegt und damit die Figur der Andi Oliver in vielen Facetten geschildert.
Solide Unterhaltung ohne besondere Höhen oder Tiefen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. November 2011 2011-11-24 12:27:41