"Was nützt und Geschwindigkeit, wenn der Verstand unterwegs
ausläuft"?
Wie so manch anderer zur Zeit (Florian Opitz mit "Speed"), wendet sich
Karlheinz A. Geißler nicht "einfach so" dem Thema Zeit in rein
beschreibender Form oder abstrakt zu. Sondern, wie der Titel es bereits in den
Raum setzt, dem subjektiven Umgang mit der Zeit und dem subjektiven Empfinden
des Ablaufes (besser: Dahinrasen) der Zeit. Einer, der schon Angela Merkel per
Interview riet, einfach mal "mehr Zeit zu verschwenden" (welch
Todsünde in Zeiten gewollter, angestrebter, stolz vorgezeigter
"Effizienz".).
Geißler wäre nun nicht Geißler mit all seiner Erfahrung zum Thema um die
Zeit, wenn er nicht argumentativ einwandfrei belegen könnte, wovon er spricht.
Einer, der mit sanfter Ironie darauf verweist, wie ungeheuer wesentlich es
dieser Welt in weiten Teilen geworden ist, immer und überall und zu jeder Zeit
erreichbar, mittendrin zu sein. Und die eigentlichen Gründe dafür ebenfalls
überzeugend benennt. Wobei übrigens eine sanfte, nicht angreifende, durchaus
wohltuende Ironie das Lesen der Inhalte durch den Stil Geißlers zu einem echten
Vergnügen macht. Da sieht man nur ganz hinten am Horizont den (zu recht)
mahnenden Zeigefinger und kann den Gedanken Geißlers gut und einsichtsvoll
folgen.
Einsichtig darin, dass durchaus eine neue "Zeitkultur" den Menschen
gut zu Gesicht (und zur Gesundheit) stehen würde, wie Geißler auf seinen
Betrachtungen der Zeit und ihrer vielfachen Geschichte sanft, aber
nachdrücklich und am roten Faden entlang, betont. Den Leser hinführt zu einem
"natürlichen Zeitablauf" (Zeit der Natur - Natur der Zeit), aufzeigt,
wie in der Moderne durch die Erfindung und Verbreitung der Uhr die Zeit Teil
einer immer stärker strukturierten "Ordnungsmaschine" wurde. Wie aus
dieser "Ordnung der Zeit" Zeit ein erfassbarer Wert wurde ("Zeit
ist Geld") und jenes Geld, jener erhoffte Gewinn immer mehr "Tempo und
Takt" des Lebens vereinnahmten, letztlich begannen, diesen Lebenstakt zu
bestimmen und zu beschleunigen bis zum gegenwärtigen Streben nach
"Zeitgleichheit" - "Alles zu jeder Zeit". Und immer lauert
das wirtschaftliche Denken, "die Wirtschaft" als Auslöser,
Verursacher und Antreiber der Menschen. Bis hin zur "Entgrenzung",
auch im Blick auf die Grenzen zwischen Arbeits- und Berufsleben, die in letzter
Konsequenz die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit eher noch befördert,
denn diese auflöst.
Die Setzung von "Arbeit als Leben" ist die folgerichtige Entwicklung
aus all den Vorgaben und Selbsteinbindungen, die zu beobachten sind und wird
sich weiter fortsetzen wird in immer höhere Belastungen hinein.
Vielleicht ist dieser kleine Satz zum Ende des Buches hin doch hörbar in all
der Schnelligkeit unserer Zeit, ein Satz, der die Richtung einer anderen
Zeitkultur und eines anderen Umganges mit sich, der Zeit, mit seiner Zeit
anregt: "Geachtet werden die Schnellen, geliebt werden die Langsamen".
Ein Satz, den man sich als Leser mehrfach auf der Zunge zergehen lassen sollte
und dann mit seinen eigenen Lebenserfahrungen abgleichen sollte. So dass unter
Umständen "die Langsamen bereits am Ziel sind", während "die
Schnellen sich noch abstrampeln".
Wohl allein noch dafür sich abstrampeln, das Ziel der Einbindung in liebevolle
Verhältnisse und Beziehungen überhaupt erst einmal für sich zu entdecken.
Dass dies das eigentliche Ziel auch des "zeitschnellsten und
effektivsten" Menschen letztlich ist.
Denn "wir sind auf der Welt, um Zeit einfach zu leben", nicht um uns
Gedanken über eine ständige "Optimierung" der Zeit zu machen, die
gar nicht durch uns in die Welt gesetzt wurden, sondern ganz anderen Interessen
allein nur dient.
Fazit
Sprachlich eingängig, in sehr freundlichem Ton, legt Geißler im Buch
überzeugend die Entwicklung des Verständnisses von Zeit vor die Augen der
Leser und erinnert ebenso eindrücklich daran, worum es wirklich geht (und gehen
sollte). Jedem Hektiker zutiefst zu empfehlen (falls er sich die Zeit dafür
nehmen könnte") und jedem anderen natürlich auch.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 20. November 2011 2011-11-20 13:18:06