Zu sich selber finden
Ein melancholischer Romantiker, so könnte man Thommie Bayer, Jahrgang 1953 (
nicht unwichtig) bezeichnen. Einer, der bereits Mitte der 70er Jahre als Musiker
textete: "Ich hol Dir keine Sterne mehr vom Himmel, die liegen nachher doch
nur bei uns rum". Somit einer, der als eines seiner durchziehenden Themen
späterhin auch in seinen Büchern die (eher unglückliche) Liebe, die Suche
nach sich selbst, die leichte Resignation am Miteinander zum Thema macht.
Einer auch, der in seinen Figuren doch ein Männerbild mit einfließen lässt,
dass in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts en vogue war und auch in diesem
Buch gealtert vorliegt. Weich, einfühlsam, sich selbst reflektierend,
"Frauenversteher", vom Leben schon durchaus mitgenommen und vor allem
nicht da angelangt, wo man eigentlich mal hinwollte. Da trifft es, wenn man
liest: "Wer Katzen mag, der will sich unterordnen. Ein bisschen Schmerz ist
willkommen für Masochisten". Und die Hauptfigur liebt eben Katzen.
Wie sonst könnte es zudem sein, dass im vorliegenden Buch die sympathische (und
sicher nicht hässliche) Nachbarin (und Vermieterin des Ferienhauses, in dem die
Hauptfigur Zuflucht vor der Welt und einer leichten Verfolgungswelle gegen
diesen Mann, um den die Geschichte, Novelle, Fabel sich dreht, gesucht und
gefunden hat) eines Tages, nachdem man sich bekannt gemacht und einander für
sympathisch gefunden hat, sicher auch, nachdem der Ehemann der Vermieterin
bereits mit in diese Sympathie aufgenommen wurde, aufgrund eines Malheurs nur
mit einem Regenmantel bekleidet im Ferienhaus Unterschlupf sucht, die Badewanne
ihres Mieters nutzt und dieser tatsächlich einen leckeren Tee (und ein warmes
Gespräch) zubereitet und allein im Sinn hat? Eine Szene, die nach, zumindest
verdeckter, Erotik fast schreit und im eher spannungslosen "einander gut
sein" endet, fast zerfließt. Selbst wenn Männersympathie herrscht zum
Ehemann der Frau, ein ganz klein wenig "menschlich-männliche"
Zuckungen hätten der Figur nun mal realistisch gesehen einfach gut getan.
Selbst eine ausführliche Massage (allein mit der Frau, da der Mann auf Reisen
gerade ist) lässt die schnöden Schichten der Erotik außen vor um in eben
tiefere Schichten der Selbstfindung einzudringen.
Andererseits ist es auch wieder logisch, gerade vom Ende des Buches her
betrachtet, dass dies nicht geschieht, denn mit den drei, eigentlich vier
handelnden Protagonisten (von denen der Ehemann keinen breiten Raum erhält und
die vierte Figur kein Mensch ist) hat Thommie Bayer am Ende des Buches etwas
anderes noch im Sinn, das durch ein erotisches Knistern jedweder Art so nicht
möglich wäre.
Wie immer ruhig, bedächtig, reflektierend und mit großem Wortschatz in feinem
Stil geschrieben, lässt Thommie Bayer seine Leser die Hauptfigur begleiten bei
einer Art "Wunden lecken" und langsamem "Heil werden".
Vordergründig im Blick auf Plagiatsvorwürfe an den Schriftsteller und Verrat
seines Verlegers, die den Mann von Berlin in die Provinz getrieben haben,
vordergründig auch von der Trauer um den Tod seiner geliebten Katze.
Hintergründig aber wird sich zeigen, dass noch ganz andere Ereignisse in ihrer
verdrängten Trauer und ihrem verdrängten Schmerz nach Heilung, Aufarbeitung
verlangen. Ein innerer Wendepunkt im Leben eines Mannes, der sich und seine
Freunde eigentlich nur in einem geeint weiß:" Wir haben die besseren
Zeiten schon hinter uns". Einer, der "immer den Ort gewechselt hatte,
wenn das Leben mir unerträglich erschienen war.
Dies gelingt langsam, Schritt für Schritt, vor allem im Zwiegespräch mit einer
Katze und in inneren Dialogen, wobei ein stückweit offen bleibt, ob dies nur in
der Fantasie des Mannes stattfindet oder tatsächlich eine Katze mit
telepathischen Fähigkeiten im Buch ernst gemeint seine "Auszeit" mit
ihm teilt.
In Form eines Kammerspiels führt Bayer den Leser sacht durch das Innenleben und
das langsame, man kann sagen, endlich, zu sich Finden eines Mannes mit durchaus
schwerem Schicksal, führt, wie bei ihm gewohnt, in umfassend viele
Verästelungen des inneren Erlebens seiner Hauptfigur ein und erzeugt so
durchaus eine in sich stimmige und teils dichte Atmosphäre. Wenn der Mann nicht
solch ein, mit Verlaub, "vegetarisches Weichei" wäre in so gut wie
jedem Lebensausdruck, der im Buch skizziert wird.
Wer die Bücher von Bayer nicht kennt (oder gegenteilig ein echter Fan ist), der
wird literarisch nicht schlecht bedient. Wer das ein oder andere Schaffen Bayers
verfolgt hat, durchaus auch genossen hat, daher vertraut mit Stil und Eigenart
ist, der würde sich vielleicht dann doch einmal einfach ein anders Sujet, ein
anderes Männerbild, ein anderes Erleben als das melancholisch-romantische
gepaart mit dem "in der Welt verloren", wünschen.
Fazit
Alles in allem sprachlich lesenswert, hier und da anrührend, manches Mal auch
einfach unrealistisch in den Handlungsweisen und auch fast einen Tick zu gut, zu
kontrolliert für diese Welt fast. Eine echte Geschmackssache, letztlich, dieses
Buch.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 16. November 2011 2011-11-16 12:08:08