Thriller mit Qualität
Drei Hauptdarsteller mit intensiver, persönlicher Ausprägung, vielfachen
Schattierungen und einer fassbar dargestellten, persönlichen Geschichte bilden
den Kern dieses Thrillers auf dem realen Hintergrund des weltweit zunehmenden
Menschenhandles von Wolfgang Kaes. Ein Thriller, der sich in Stil, Sprache und
Konstruktion in keiner Weise gegenüber internationalen Erfolgen des Genres an
Boden verliert. Im Gegenteil.
Neben einer Vielzahl von akkurat gezeichneten und ebenfalls in Ihrer
persönlichen Geschichte nahekommenden Nebendarstellern sind jene drei
Protagonisten der Geschichte:
Zoran Jerkov. Kroatisches Migrantenkind, in Jugendjahren Chef der Bande
Kleinkrimineller, die sich Eigelstein Bande nannte, bester Spieler des
Basketballteams Eigelstein, über Nacht mit 18 Jahren nach Kroatien, mitten in
den Bürgerkrieg, um seinen kroatischen Landsleuten gegen die Serben
beizustehen. Nach seiner Rückkehr plötzlich 12 Jahre wegen Mordes an seiner
Geliebten hinter Gittern. Wie sich herausstellte, unschuldig. Warum hat er 12
Jahre lang diese Schuld auf sich genommen? Und warum hat er nun geredet, wird
entlassen und schwört vor versammelter Medienschar Rache, bevor er von der
Bildfläche verschwindet (und erst viel später wieder auftaucht, die gesamte
Zeit über aber im Buch präsent ist)?
David Manthey. Neffe des damaligen, schwulen, Trainers der Basketball
Mannschaft, bald Zorans bester Freund, ebenfalls Teil der Eigelstein Bande, mit
Zorans Schwester tiefer Verbunden als nur durch die gemeinsame Vorliebe für
Bitter Lemon, dann aber zerstritten mit Zoran. Er ging zur Polizei. Als seine
Freundin bei einem Einsatz starb, quittierte er den Dienst und lebt auf
Formentera. Die Einsatzkräfte holen ihn nun zurück, damit er Zoran findet.
Köln ist der dritte Protagonist des Buches. Anders als in so manch einfältigem
Köln Krimi erhält die Stadt im Gesamten, vor allem aber in ihren dunklen
Seiten, halbseidenen Orten und Hinterhöfen ein ganz eigenes, genau beobachtetes
und der Geschichte eine tiefe Atmosphäre gebendes Leben. Wie auch bei all den
lebenden Personen des Buches versteht es Kaes, dem Ort ein vielfältiges Gesicht
und eine, gut recherchierte, Geschichte zu geben. Gerade sein Stil des
jeweiligen Rückblicks in die Geschichte der handelnden Personen, auch der Stadt
selbst, auch noch so unwichtiger Nebenpersonen, gibt den Charakteren jene
schillernde Tiefe, die dem wichtigen Thema moderner Sklaverei in der Geschichte
Leben gibt.
Eine städtische Rahmung für einen allezeit logisch und nicht konstruiert
wirkenden Ablauf.
Schon bald entdeckt David mit Hilfe der Journalistin Kristina Gleisberg, dass
Zoran nicht an jenen Rache nehmen will, die ihn Verurteilten, sondern an jenem
einen, der im Hintergrund steht, von Menschenhandel lebt und Zoran mit dem Leben
seiner Tochter bedrohte, sollte er die Schuld nicht auf sich nehmen. David und
Kristina entdecken auch, dass die Jäger Zorans auf polizeilicher Seite mit dem
regulären Polizeialltag nichts zu tun haben. Bald schon geraten beide in das
Visier der Verbrecher, die Zoran jagt und ebenfalls in den Fokus der
Sondergruppe, die Zoran als Lockvogel benutzen wollen. Als die ersten grausam
ermordeten Personen auf der Bildfläche erscheinen, spitzt sich die Lage
allenthalben zu.
So finden im Laufe der 350 Seiten des Buches nach und nach alle losen Stränge
zueinander und verdeutlichen mehr und mehr das ganze Bild der Zusammenhänge.
Fazit
Einen breiten Wurf legt Wolfgang Kaes vor. Hervorragend gezeichnete Figuren,
eine genaue Kenntnis der Stadt und, vor allem, die Gabe, durch diese Kenntnisse
eine dichte Atmosphäre zu zeichnen korrespondieren mit den drängenden Motiven
der handelnden Figuren und werfen einen ernüchternden, weil realistischen,
Blick auf die Praxis modernen Menschenhandels, vornehmlich in Staaten des
früheren Ostblocks. Wie nebenbei handelt er mit seinem genauen Blick noch die
Oberflächlichkeit der Medienszene in Köln genauso treffend ab, wie er das
künstliche Leben in den reichen und schönen Stadtteilen in den Blick rückt
und am Beispiel des Onkels auch das schwule leben Kölns streift. Nebenblicke,
die dennoch zur Geschichte gehören, wie sich später herausstellen wird.
Die einzige Kritik wäre, dass das Ende des Buches einfach viel zu kurz ist. Mit
Freuden würd man das sich überschlagende Finale, weit entfernt von jeder
Vorstellung eines Happy Ends, noch 50 weiter Seiten genießen. Aber das spricht
eigentlich auch wiederum nur für die Qualität des Buches.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. September 2010 2010-09-24 16:50:59