Familienmord
Er wächst einem fast so langsam ans Herz, der Leonard Kreuthner.
Nein, nicht wegen seiner Ecken und Kanten, sondern trotz seiner Ecken und
Kanten. Bei weitem gilt für diesen oberbayrischen Polizisten nämlich nicht
"Raue Schale, weicher Kern", sondern der Kern ist ebenso rau, wie die
Schale, zudem halbseiden und ein wenig dumpf im Handeln. Fettnäpfchen lässt er
gerne mal nicht aus und im Herausreden hat er seine wahren Stärken.
"Vielleicht sollten Sie ihm mal eine Therapie spendieren, er macht einen
recht wirren Eindruck", rät zumindest eine Zeugin im Buch dem ermittelnden
Kommissar und ganz unrecht hat sie da nicht. Ein wenig erhellend wirkt da der
Einschub der Kreuthnerschen Familiengeschichte, die ein wenig klärt, in welcher
Ahnenreihe Leonard Kreuthner sich befindet und damit auch ein wenig seines
Wesens näher beschreibt.
So auch gleich zu Beginn des Buches, in dem er auf der Landstrasse nach
Tegernsee nach einer Wette mit seinem alterschwachen Passat ein Rennen gegen
einen Kumpel fährt und dabei sich, den Bekannten und, vor allem, seinen
Vorgesetzten, Kommissar Wallner (der nichtsahnend und wohl gelaunt mit seiner
neuen Liebe Vera auf dem Weg ins lange Osterwochenende am Gardasee sich
befindet) in äußerste Lebensgefahr bringt.
Flugs wird das Rennen von Kreuthner zur "allgemeinen
Verkehrskontrolle" erklärt. Wie erstaunt stehen aber Kreuthner, Wallner
und der Fahrer des am Rennen beteiligten Lieferwagens dann vor der
"Ladung". Eine weibliche Leiche. Und ein Fahrer des Lieferwagens, der
sich äußerst verdächtig benimmt. Nun ist ein solcher Leichenfund an sich
nicht alltäglich am Tegernsee, die weiteren Ermittlungen aber bringen noch ganz
andere Dinge zum Vorschein, an denen mehr Personen beteiligt sein werden, als
man vorher denkt.
Wallner zumindest, trotz Urlaub, kann sich kaum losreißen von den Ermittlungen.
Die Familie Millruth, Schauspieler und wohlhabend am Schliersee residierend, hat
zumindest eine intensive Verbindung zur Toten gehabt (und selber einen ominösen
Todesfall vor kurzem in der Familie erlebt). Und was ist eigentlich mit dem
verschwundenen, ehemaligen rumänischen Hausmädchen der Millruths? Ereignisse
tauchen auf, die Jahre zurückliegen und doch ihre Spuren für die Gegenwart
hinterlassen haben. Ereignisse, die Kreuthner versucht, hilfreich zu lösen. Da
ihm ein Disziplinarverfahren droht, will er dem einzigen Zeugen
"Wallner" doch gut sein und zur Hand gehen und tappt prompt in die
nächsten Fettnäpfchen.
Während Wallner nicht locker lässt und sich so langsam in das Dickicht der
Geschehnisse (die von Föhr in drei Zeitebenen erzählt werden) vortastet. Vor
15 Jahren fing wohl alles an, am letzten Weihnachten bei Millruths fand es eine
Fortsetzung, die bis in die Gegenwart reicht. Das alles geschieht ein wenig zum
Leidwesen des eigentlich ermittelnden Kommissars Mike Hanke, der erst langsam
seine Rolle in diesem Wirrwarr findet und einsieht, dass man einen Kommissar
Wallner trotz dessen Urlaub nicht außen vor lassen kann. Nebenbei muss sich
Wallner zwar auch noch um seinen merkwürdig sich verhaltenen Großvater
kümmern, aber das fällt schon kaum noch ins Gewicht bei all den persönlichen
Verwicklungen, die mehr und mehr in den Mittelpunkt des Geschehens rücken.
Andreas Föhr gelingt es mit seinem Stil, mit wenigen, kantigen Sätzen Personen
und Orte zu beschreiben. Wenige Worte nur, und auch der nicht ortskundige Leser
kann sich unter "Hausham" etwas vorstellen, spürt durch das Buch eine
greifbare Atmosphäre des kleinen Ortes. So auch im Blick auf die Personen des
Buches. Weniger seitenweise Erläuterungen bietet Föhr, um das Innere seiner
Figuren näher vorzustellen, allesamt erklärt sich das Wesen der Figuren durch
deren Handeln, die Art, zu sprechen, die Form, in der Dinge angegangen und
Dialoge geführt werden. Und ebenso zugleich ergibt sich eine erkennbare,
regionale Atmosphäre der Gegend um Tegernsee, Schliersee und Miesbach herum,
die einfach stimmig und nie übertrieben wirkt.
Fazit
Gepaart mit einem wiederum sorgsam aufgebauten Fall, vielen Spuren und einem
nicht umwerfend, aber doch durchaus noch mit Überraschungen versehenem Ende,
weiß Föhr wieder einmal gut zu unterhalten. Auch wenn die Art seines
Herangehens an seine Geschichten nun doch aus den letzten beiden Büchern heraus
bekannt ist und sich nicht geändert hat. Ereignisse auf drei Zeitschienen
(ferne Vergangenheit, jüngere Vergangenheit, Gegenwart) und ein "vor sich
hin Machen" der diversen Figuren mit leicht mangelnder Abstimmung sind ein
Schema, dass durchaus auch in diesem Buch wiederum gut funktioniert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 14. November 2011 2011-11-14 11:11:58