Eiskalt erwischt hatte es den Hippocampus der Regierungschefin eines westlichen
Landes, als in Omsk ein Bahnhofsschild auf sie herunterstürzte. Die westliche
First Lady befand sich gerade auf einem "incognito-Urlaub" mit der
Transsibirischen Eisenbahn. Begleitet wurde sie nur von ihrem Ehemann und dem
von Tolstoi erschaffenen Werk "Krieg und Frieden". Mitwisser dieser
geheimen Urlaubsaktion war Herr Bodega, ihr Generalsekretär, der enge
sms-Verbindung zu ihr hielt. Durch den unvorhergesehenen Kontakt mit dem maroden
Bahnhofsschild wurde eine Amnesie ausgelöst, die eine Erinnerung von ca.
zwanzig Jahren zunichte machte. Als diese Erkenntnis im kleinen Kreis der
Eingeweihten amtlich wurde, setzte man eine Welle von Massnahmen in Gang, welche
die Situation vertuschen sollten. Jeden Tag neu musste die Chefin auf die
anlaufende Regierungsspur gebracht werden, ein Therapeut musste her, jede
Situation erforderte Vorplanung. Dennoch verblüffte die Lady ihr Umfeld durch
ihr Verhalten. Als ob eine neue Person am Werke sei, ging sie die Aufgaben mit
anderer Grundhaltung an, mehr Spontaneität, mehr Handeln aus dem Bauch heraus,
vieles simpler und trotzdem logisch. Dinge wurden durchgeführt, die man vorher
mit ihrem Namen nicht verbunden hätte, von denen man niemals geglaubt hätte,
dass sie in ihrem Inneren verborgen waren. Alles änderte sich - sie selbst, ihr
Kontakt zu den Menschen und nicht zuletzt ihr Wissen um das, was wirklich
bedeutsam ist. Sei es in dem Moment, in dem man es verliert, als auch dann, wenn
man es - zumindest in kleinen Dosen - wiedererhält.
Lange muss man nicht rätseln, um welches Land es sich handelt bei dieser
westlichen Nation. Wo denkt man schon 'mal an eine Jamaika-Koalition? In welchem
bedeutsamen, westlichen Industriestaat hat die Chefin ein absolutes faible für
Blazer (und das in allen Farben!), die obligatorischen T-Shirts mit halbrundem
Ausschnitt und modischer Kette darauf? Auch ein blonder Aussenminister mit
Brille könnte ein Hinweis sein. Der geneigte Leser wird also hier kaum
Schwierigkeiten haben. Allerdings führt die Namenlosigkeit der Protagonisten
leider auch zu einer gewissen "Abständigkeit" und verhindert etwas
die mentale Kontaktaufnahme vom Leser auf der einen zur Romanperson auf der
anderen Seite. Dennoch erfreut es den aufmerksam Lesenden, dass das Schicksal
der Chefin an der Bio-Käsetheke eines Supermarktes unter dem
Sonderangebotsschild für Parmigiano eine positive Wendung nimmt! Was für eine
großartige Fügung!
Fazit
Der Schreibstil ist flüssig, an vielen Stellen blitzt ein herrlicher Humor auf,
der die Stellen wettmacht, an denen Zähflüssigkeit die Oberhand hat.
Das Cover ist gekonnt gewählt, hat Beziehung zur story in den Details, von der
blazergekleideten, flott dahergleitenden Regierungschefin(wir waren früher alle
'mal schlanker!) auf der immer wieder zum Aufziehen bereiten Spieluhr mit
Reichsadleremblem und umlaufender schwarz-rot-goldener Raff-Bordüre.
Amusante Politsatire, sehr kurzweilig und empfehlenswert.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 07. November 2011 2011-11-07 08:58:14