Im November des Jahres 565 starb der oströmische Kaiser Flavius Petrus
Sabbatius Iustinianus, der Nachwelt besser bekannt als Justinian. Noch heute ist
dieser spätantike Herrscher von Bedeutung, denn auf ihn geht die berühmte und
bahnbrechende Rechtskodifikation des Corpus Iuris Civilis zurück. Er ließ
zudem die Hagia Sophia im heutigen Istanbul (damals noch als Konstantinopel
Hauptstadt des vollkommen christlichen oströmischen Reiches), während seine
Generale im Westen Italien, das heutige Tunesien und Südspanien wieder für das
Imperium eroberten. Auf den ersten Blick mutet das Ergebnis seiner Herrschaft
beeindruckend an, doch zeigte das Fundament bereits deutliche Risse. Im Osten
drohte ständig ein neuer Krieg mit der zweiten spätantiken Großmacht Persien,
die vorherigen Kriege hatten enorme Summen verschlungen und Katastrophen wie
eine Pestepidemie hatten das Reich heimgesucht. Das "Zeitalter
Justinians", wie es in der älteren Forschung oft beschworen wurde, war
sehr zwiespältig.
Zu Justinian existiert eine umfassende Forschungsliteratur, zumal die
verfügbaren Quellen recht umfangreich sind. Eine neuere, umfassendere
Biographie fehlte bislang in deutscher Sprache, doch ist diese Lücke nun mit
dem vorliegenden Buch Leppins (weitgehend) geschlossen. Zumindest bietet es, das
sei hier bereits verraten, einen vorzüglichen Zugang für diese interessante,
aber auch problematische Zeit.
Leppin, ein ausgewiesener Experte für spätantike Geschichte, hat sein Werk,
abgesehen von Einleitung und Schluss, in sechs darstellende große Kapitel
unterteilt. Nach einer Einleitung behandelt er im 2. Kapitel den Aufstieg des
jungen Petrus als Neffe des Kaisers Justinus. Die Rolle Justinians (so der Name
des Petrus nach seiner Adoption durch Justinus) in dieser Zeit ist schwierig zu
beantworten, da die Quellen eher tendenziös sind. Zu Recht wird aber in der
neueren Forschung Justinians Position nicht mehr überschätzt, dem folgt auch
weitgehend Leppin. Im 3. Kapitel werden die frühen Kaiserjahre Justinians
dargestellt, einschließlich des (vorläufigen) Friedens mit Persien und den
inneren Unruhen. Das 4. Kapitel widmet Leppin der "Sammelphase"
Justinians: der Rechtskodifikation und der verstärkten Bauphase. Im 5. Kapitel
werden die (zunächst) erfolgreichen Kriege gegen die Vandalen in Nordafrika und
gegen die Ostgoten in Italien geschildert. Im 6. Kapitel entfaltet sich für den
Leser das Bild einer bröckelnden Herrschaft des Kaisers, der im Osten wieder
Krieg gegen die Perser führen muss (die sich behaupten konnten) und im Westen
neue Aufstände gegen die oströmische Herrschaft bekämpft. Währenddessen
ergaben sich auch im Inneren ernsthafte Probleme, unter anderem in der
Religionspolitik. Im 7. Kapitel wird die Schlussphase Justinians beschrieben,
der nur mit Mühe das Reich zusammenhalten konnte. Dem folgt eine
Schlussbetrachtung, ein Anmerkungsapparat und eine aktuelle Literaturliste.
Es fällt vielleicht auf, dass die Kriege Justinians, die ausführlich von
Prokop von Kaisareia und anderen Autoren geschildert wurden, eher in ihren
Grundzügen dargestellt werden. Dies ist freilich eine Abwägungsfrage, doch
existiert eine ausreichende Literatur dazu, zumal gerade die Lektüre Prokops
immer noch reizvoll und aufhellend ist - wenn man sich seinen Intentionen
bewusst ist. Justinian hatte das Glück, mit Prokop den letzten großen antiken
Geschichtsschreiber zu haben. Gleichzeitig polemisierte jedoch gerade kaum
jemand derart gegen einen Herrscher wie eben jener Autor (explizit in seiner
sogenannten "Geheimgeschichte"). Bereits in den Quellen entstand somit
ein gespaltenes Bild.
Fazit
Leppin bietet mit seinem Buch keine "ultimative" Biographie
Justinians, was auch nicht seine Absicht ist. Die zunehmende Spezialisierung der
historischen Forschung und die Flut an Publikationen macht das für einen Autor
auch faktisch unmöglich. Leppins Biographie bietet aber eine gut lesbare,
bisweilen spannende und immer wissenschaftlich fundierte Darstellung, die für
Laien als auch für den Forscher interessant sein dürfte. Leppin bietet eine
abwägende Darstellung und ist um Objektivität bemüht: Weder wird der Kaiser
übermäßig gelobt, noch wird eine hyperkritische Darstellung geboten.
Justinian soll aus dieser für uns fremden Zeit begriffen werden und dies ist
wohl auch der einzig gangbare Weg.
Wie immer bei Klett-Cotta ist das Buch vorbildlich gestaltet, wenngleich die
Endnoten doch etwas müßig sind.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 28. Oktober 2011 2011-10-28 14:41:10