Gesellschaftsroman und Finanzmauscheleien
"Wenn die Kapitalentwicklung eines Landes das Nebenprodukt eines
Spielkasinos wird, wird sie wahrscheinlich wenig günstig verlaufen". Sagt
nicht irgendwer, sagt Maynard Keynes (und der musste es ja eigentlich wissen).
Genau dies aber ist eingetreten (unzweifelhaft) und setzt das innere Thema des
neuen Buches von Justin Cartwright.
Gemächlich erzählt Cartwright dabei seine Geschichte und dieses bedächtige
Tempo rührt nicht zuletzt aus der jeweiligen Breite seiner Darstellungen. Eine
Breite vor allem ind er Darstellung seiner Figuren, die dem Leser so, wenn auch
nicht unbedingt emotional nahe rücken, so doch gut bekannt werden. Bis in das
Muster des Sakkos hinein setzt Cartwright so unter anderem die distinguierten
Kleidungsgewohnheiten des Patriarchen der englischen Privatbank, Sir Harry
Trevelya-Tubal, in den Raum. Ein Geschmack an teurer und distinguierter
Kleidung, die so ziemlich das Letzte ist, dessen Sir Harry sich erfreuen kann.
Nach einem Schlaganfall und den damit einhergehenden Beschränkungen in
Beweglichkeit und Sprache fristet Sir Harry seine Leben in einem der Häuser der
Familie in Südfrankreich.
Besuch von den Söhnen, der eigenen Frau? Weitestgehend Fehlanzeige. Nur
Estelle, seine Sekretärin, seit Urzeiten unsterblich in ihn verliebt, sorgt um
ihn, übersetzt seine gutturalen Laute, schreibt (sinnlose) Briefe in Sir Harrys
Auftrag an seine geliebte Bank.
Seine Bank, in der sein Sohn Justin das Ruder übernommen hat. In schwierigen
Zeiten, denn was die Öffentlichkeit und, vor allem, die Investoren der Bank
nicht ahnen, ist, dass die Bank auf einer ganzen Reihe fauler
Hypothekenspekulationen sitzt. Toxische Papiere. Auch der Trick Julians, die
familieneigene Stiftung hinter dem Rücken seines Vaters zu beleihen und 250
Millionen Euro den austrocknenden Geldläufen der Bank zukommen zu lassen
(natürlich gut verborgen), wird das Problem nicht grundlegend lösen. Nur der
Verkauf der Bank zu Zeiten wird auch die Familie und das Familienvermögen
einigermaßen sicherstellen. So laviert Julian per Familienjet und auf dem
Rücksitz von Edelkarossen durch die wichtigen Orte der europäischer
Finanzwirtschaft, eher um zu verbergen, denn um zu retten. Selbst die von Sir
Harry geliebte Segelyacht steht zum Verkauf. Und das alles muss verborgen werden
vor dem kranken und alternden Familienpatriarchen, der nicht ablassen will von
seiner alten Geschäftsethik des "seidenen Bandes zwischen Bank und
Kunden"
Ein Bild im Übrigen, gut gewählt, um die aktuelle Situation der
Finanzwirtschaft zu beschreiben, die alles dafür anscheinend tun muss, um den
wahren Zustand und die wahren Vorgänge "hinter dem Rücken" all derer
zu halten, die mit der "alten Welt" einer gesunden Volkswirtschaft
noch sich verbunden fühlen. Einer "alten Welt", die gegenüber der
digitalen Transaktionsgesellschaft nur mehr stammelnd und, vor allem, ungehört,
sich versucht, einzubringen. So steht Sir Harry nicht nur für die alte Upper
Class, sondern auch für jeden modernen "normalen" Bürger, hilflos
und uninformiert am Rande der Trickserien herum.
Glücklicherweise (für Julian) deutet sich eine Lösung an. Eine amerikanische
Bank will kaufen. Aber natürlich nur, wenn das Unternehmen als gesund dar steht
und das geht nur, wenn die Bilanzen entsprechend aufgehübscht werden. Viele
Probleme also, die nicht geringer werden, als Insiderinformationen aus der Bank
an eine Zeitung durchsickern.
Wie und ob das gelöst wird, mit welchen Tricks die Hochfinanz ihre Zahlen
schönt und sich ins rechte Licht rückt, das ist der eine Teil der Geschichte,
die Justin Cartwright ruhig, bedächtig und mit Breite samt einem jeweils
gründlichen Blick auf die beteiligten Personen und die ganzen Täuschungen der
Branche erzählt. Eine Ruhe, die leider hier und da auf Kosten des Tempos geht.
Spannung taucht kaum auf im Buch, auch Erstaunen über die kleinen und
größeren Tricks des Geschäftslebens hält sich in Grenzen und zeigt nichts
auf, was man nicht schon wüsste oder zumindest ahnt.
Fazit
So verbleibt ein durchaus flüssig und sprachlich reif erzählter Roman aus der
verschwindenden, alten Upper Class Englands, über den Niedergang einer Familie,
der auch innerlich voranschreitet und ein breiter, aber letztlich zu
bedächtiger Blick in die vielfachen Tricks und Täuschungsmanöver der
Finanzbranche mit dem ernüchternden Ergebnis, das heutzutage durch Geld wohl
alle Probleme "aufgekauft" werden können.
Angenehm zu lesen, aber ohne wirklich mitreißend gestaltete Höhepunkte
erzählt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 22. Oktober 2011 2011-10-22 13:03:09