Der Autor Hans Lach gerät in Verdacht, den überaus mächtigen
Literaturkritiker Andre Ehrl-König ("In der ganzen Literaturgeschichte
habe keiner soviel Macht ausgeübt wie er") ermordet zu haben, nachdem
dieser Tage lang unauffindbar bleibt und einziges Überbleibsel sein
blutbefleckter Pullover ist. Ein Motiv ist schnell gefunden: Ehrl-König hat
wenige Stunden vor bezeichneter Mordnacht Lachs neuestes Buch "Mädchen
ohne Zehennägel" vor laufender Kamera klein und lächerlich geredet, auf
der Feier nach der Sendung kommt es zu wüsten Drohungen, herben Pöbeleien
Lachs gegenüber Ehrl-König. Überzeugt von Lachs Unschuld ist nur der
Ich-Erzähler, Michel Landolf. Dieser setzt, so gut er es als einer an "Von
Seuse zu Nietzsche"-Abhandlung Schreibender, "im Fachkreis
herumgeisternder" Historiker versteht, alles in die Wege, die wahren, dass
heißt Lach entlastenden Umstände aufzudecken.
Besondere Aufmerksamkeit gilt den Hintergründen des (deutschen) Kulturbetriebes
(München gibt hier stellvertretend die Bühne ab), seiner Eitelkeit(en), der
öffentlichen Meinungsbildung, die nichts als die Meinung einiger Kritiker,
schließlich die Unmündigkeit eines zum selbstständigen Kritisieren unfähigen
Publikums. Martin Walser hat einen packenden Krimi verfasst, der mit Pointen und
Knalleffekten geradezu bepflastert ist. Der nicht auszuweichenden Übermacht des
Andre Ehrl-König stellt Walser einen Helden entgegen, der gegenüber der
rhetorischen Virtuosität des Kritikermeisters nicht unempfindlich bleibt, doch
sich sein eigenes Urteil (oder seine Sturheit?) bewahrt.
Fazit
Andre Ehrl-König, das literarische alter Ego Marcel Reich-Ranickis, wird in
Szene gesetzt als Kritiker, nicht als ein Mensch jüdischer Herkunft; anders
gesagt: Martin Walser ist der Verfasser von "Tod eines Kritikers",
nicht "Tod eines Juden"; von Antisemitismus keine Spur; ab und zu ein
Klischee, ja, doch damit lebt Literatur, muss Literatur leben.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
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veröffentlicht am 24. September 2003 2003-09-24 15:11:30