In André Hellers "Schattentaucher" verfolgt man in blitzartigen, kurz
fackelnden Aufnahmen die Existenz des Komponisten ("Klavierstimmer,
eigentlich Komponist") Ferdinand Alt. Mit hoher Sensibilität ausgestattet,
intelligent, interessiert, offenbart er 61 Momente seines mit Momenten
gefüllten Lebens. Alt verliert sich auf hinreißende Weise an die
unverbindlichsten Begebenheiten; und dieses Zerrinnen ins verschwindend Zarte
verleiht ihm neue Schaffenskraft. Umgekehrt verlieren sich fast alle Figuren an
Alt, das Ganze ist, wenn man so will, ein fesselndes Voneinander-Zueinander
Wiener Originale. In der ersten Erzählung bietet ein Bekannter Alts
verstorbenen Vaters "tausend Schilling die Stunde, wenn sie manchmal
zuhören." - "Wie kommen Sie denn darauf?", fragt Ferdinand, -
"Weil es soweit ist." - "Wie weit?" - "Soweit, dass ich
einsam bin.". Die bedrohlich bis erfreulich scheinende Verwobenheit
zwischen Traum und Gefühl gibt den jeweils ein- bis zwei Seiten zählenden
Erzählungen etwas märchenhaft Kafkaeskes; z. B. in seinem 24. Bild berichtet
Ferdinand über die Wiener Stallungen der Spanischen Hofreitschule; der Anblick
der Lipizzaner lässt ihn dort bis zum Morgengrauen ausharren, lässt, nachdem
"das Komponieren aufs Trostloseste misslang und die Ablenkungen ihn nicht
abzulenken vermochten", ihn aufs Neue Schöpfer sein. Nicht nur da steht
ein prächtiges, umfeiertes Wien im Mittelpunkt, vergegenständlicht dessen
Architektur, Atmosphäre, Atem, besonders die legendären Cafehäuser haben es
Alt ("sein Stammtisch im Café Stern") angetan. Einige der fünf
dutzend Schattentaucher Miniaturen wurden mir schon beim ersten Lesen
unvergesslich, und die übrigen sind nicht weniger schön; Heiterkeit und
Melancholie, Traurigkeit und Vergnügen, Charme und Rohheit, Lebensfreude und
Lebensabschied geben sich 61mal wie selbstverständlich das Wort.
Fazit
André Heller hat mit seinem Schattentaucher einen Lichtbringer verfasst.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
[Profil]
veröffentlicht am 24. September 2003 2003-09-24 15:08:47