Vom Bett zur Liebe statt aus Liebe ins Bett
Das Jean-Claude Kaufmann Franzose ist (ohne direkt einem Klischee zu verfallen),
ist dem Buch in Stil und Richtung durchaus abzuspüren. Denn jene gallische
Verbindung von amour und fou, von diskreter Offenheit der körperorientierten
Rendezvous einerseits und dem doch beständig im Hintergrund mitschwingendem
romantischen Aspekt des sich Verliebens, sehr elegant vermischt Kaufmann diese
Ebenen und benennt so bei seinen Betrachtungen immer wieder einerseits die
"oberflächlich-körperliche" Realität des
"Internetdatings" in teils klaren und strikten Beispielen (die
durchaus an sich zurückhaltend und sittsam geprägte Frau, die sich eines
Abends leichtgeschürzt unter einem Trenchcoat am Hotel einfindet um einen
völlig Fremden zu treffen, mit eindeutigen Absichten), wie er andererseits
beredt offen zu legen versteht, dass doch immer die tiefere, emotionale
Sehnsucht eine Rolle spielt. Das es gut passieren kann "das Liebe
hinzutritt". Und die hat es dann nicht einfach, wie das Buch zeigt.
In seiner Betrachtung dessen, wie sich das reale und wahre Liebesleben und
-erleben der Menschen durch den ständig breiter werdenden Einfluss des Internet
mitsamt seiner besonderen Form der Kommunikation tatsächlich verändert. Hier
sind es zwei Kernbeobachtungen, die Kaufmann vor Augen legt und denen er immer
wieder im Buch weiter nachgeht. Das eine ist, dass sich "beim ersten realen
Date" bedingt durch den "Vorlauf" im Net zwei Menschen treffen,
bei denen das Unbefangene kaum mehr möglich ist. In den meisten Fällen (und
Kaufmann führt viele Beispiele an), war die Kommunikation im Vorfeld bereits
recht eindeutig und fantasievoll entfaltet. Nun, beim ersten realen Date, sind
die Hemmschwellen hin zur körperlichen Nähe somit letztlich stark reduziert.
Zum anderen aber, paradoxerweise, führt Kaufmann ausführlich an, wie sehr beim
dann realen Treffen (von denen übrigens eine Vielzahl erst gar nicht
stattfinden, auch hiezu liefert Kaufmann Beispiele und Begürnudnungen) doch
wieder alles auf Null gestellt wird. Fast auf weniger als Null, denn ein starkes
Bemühen kann Kaufmann im realen Leben dann feststellen, eine betone Distanz zu
zeigen. Gerade weil Distanzen im Vorfeld virtuell oft überschritten wurden.
Und weniger zur Zeit um den reinen Sex, die reine Körperlichkeit geht es. Viele
legen Wert auf die Erläuterung, dass Emotionen vorhanden sind, eine
"gefühlte Nähe". Das aber häufig. Was aber heißt es auf Dauer für
ein "Liebesleben", wenn die Verweildauer solch emotionaler Nähe sich
mehr und mehr reduziert und Vielfachkontakte in den Raum treten, eine immer
weitere, sich steigernde, fast suchtartige Suche und Verweilen im Net?
Das Net, welches die Abfolge des Flirts fast umkehrt. Statt unverhofftem Kontakt
zu jemand Fremden, statt hohem Puls und leichter Nervosität im realen Erleben,
bietet das Net Distanz, vermeintliche Offenheit, sicheres Terrain (auch wenn
"Körbe" im Net oft härter formuliert und durchaus mit Wirkung
treffen). So entstehen verschiedene Umgangsweisen der Menschen mit der
"Liebe im Net", die Kaufmann in drei Kategorien bringt. Zum einen
Sucher, die tatsächlich auf das Reale stoßen wollen und dann mehr als
Möglichkeit auch in den Raum setzen (die brauchen viel Geduld und
Hartnäckigkeit, um fündig zu werden im Net). Zum Zweiten reine Sex-Sucher, die
alles verbal zugestehen und erzählen werden, nur um "den Abschuss"
wieder einmal hinzubekommen. Und zum Dritten jene (auch hier schildert er
Episoden), bei denen der umworbene Part dann einsam und allein auf weiter Flur
beim Date erscheint. Weil sie auf Menschen trafen, die nur im Net ihre
emotionale Befriedigung suchen und ausleben.
Gut, dass Kaufmann nicht dem Fehler verfällt, ins seinem Buch Strategien,
Tipps und Analysen des "Menschen im Net" in den Vordergrund zu stellen
(auch wenn all dies an passenden Orten angedeutet wird), sondern vor allem
elegant und leicht in der Sprache dem Leser vor Augen führt, wie sehr sich das
althergebrachte Spiel mit Flirt und Sex durch die Weiten des Internet
verändert, breiter, aber auch oberflächlicher wird, wie sehr auch all jene
Offenheiten im Net das "reale" Leben eher beschweren, denn befördern.
Vor allem aber, wie wenig Sicherheit mittlerweile in auch erfolgreichen
Annäherungen letztlich liegt. Denn der nächste Klick lockt. Die Tausende von
Möglichkeiten lassen nicht mehr wirklich in Ruhe. Es braucht Kraft, sich in
dieser Welt der austauschbaren und immer noch mehr Möglichkeiten in den Raum
setzenden "Liebes- und Sexversprechen" zu konzentrieren und damit erst
tatsächlich dauerhaft zu finden.
Fazit
Locker und leger, dabei aber sachkundig und gut recherchiert, legt Kaufmann den
Status Quo des Liebeslebens in der großen Rahmung des Internet, in diesem
"Supermarkt der Begierde" unterhaltsam und reflektiert vor. Und zeigt
kritisch jene Folgen auf, die Menschen durch das Net trotz aller Dates und Nähe
eher voneinander wegführen denn dauerhaft zueinander bringen. Im Letzten dann
doch vielleicht eher eine "bedauerliche Banalisierung" dessen, was
Menschen eigentlich in tiefe Wallung versetzen könnte (und das nicht nur für
30 Minuten).
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 03. Oktober 2011 2011-10-03 12:42:50