Hervorragender Thriller
"Vertraue Ben nicht!"
Das ist der erste Satz im Tagebuch Christines. Ein Satz, den sie jeden Tag wie
neu liest (sobald sie ihr Tagebuch überhaupt gefunden hat). Ein Satz, der sie
allerdings in noch größere Verwirrung jeweils stürzt, als sie an sich bereits
im Raume steht.
Denn jeden Morgen wacht Christine eben neben besagtem Ben auf. Ihrem Mann. An
den sie sich nicht erinnern kann. Wie sie sich an nichts erinnert, was nach
ihren Jugendjahren geschehen sein könnte.
Immer wieder neu muss sie sich dem neuen Tag und zuallererst dem Spiegel
stellen. 47 ist sie faktisch. Emotional und vom Selbstbild her erwartet sie
allerdings jeden Tag, das Gesicht und den Körper einer Zwanzigjährigen zu
sehen und zu spüren. Und dazu dieser fremde Mann im Ehebett. Einer, der doch
liebevoll und sensibel wirkt, der sie immer wieder zu ihrer vermeintlichen
Geschichte hinführt. Ein Unfall soll es gewesen sein, aufgrund dessen Christine
ihr Gedächtnis verloren hat und zudem ihre Fähigkeit, neue Informationen zu
speichern. Sobald sie schläft, verliert sie alle Erinnerungen wieder und
beginnt jeden neuen Morgen bei Null. Wenn da nicht ihr Tagebuch wäre.
Dr. Nash, ein Arzt, den Christines Fall fasziniert, meldet sich täglich,
beginnt ebenfalls immer wieder aufs Neue und hat ihr das Tagebuch ans Herz
gelegt. Jeden Tag ruft er an und sagt der erinnerungslosen Frau, wo sie dieses
versteckt hat. Dr. Nash hat sich ausbedungen, das Ben zunächst nichts von ihm
erfährt. Was vielleicht auch wirklich sich als ganz gut herausstellen
könnte.
Seite für Seite, Schritt für Schritt, Tag für Tag nun fallen lose Enden von
Erinnerungen in den Raum. Tag für Tag fügt Christine diese durch ihr Tagebuch
wieder zusammen und bald schon fallen ihr Ungereimtheiten auf. Ungereimtheiten
in der Geschichte, die ihr Mann erzählt.
Wie in einen Sog wird der Leser durch die klare, flüssige und bildreiche
Ausdrucksweise von Watson hinein gezogen in dieses erinnerungslose Leben. Eine
Sprache, in der es Watson ebenso mühelos gelingt, sich zuspitzende Situationen
unglaublich spannend zu schildern, wie es ebenso gelingt, die innere Verwirrung,
Verzweiflung und dann Angst seiner Hauptperson in den Raum zu setzen.
Vollständig abhängig ist Christine ja zunächst von Ben. Ihr einziger Kontakt.
Ihr Mann, der das gesamte Leben der beiden im Griff hat, der ihr Gedächtnis
jeden Tag wie eine geleerte Festplatte neu mit Daten füllen kann. Doch sind es
Wahrheiten, die Ben ihr als ihr Leben erzählt? Ein Rätsel, das sich bis zum
Finale des Buches hin bei zunehmend knisternder Spannung hin steigern wird, bis
es eine überraschende und dennoch folgerichtige Auflösung erfahren wird.
Auch wenn die einzelnen Elemente des Buches (Amnesie, Suche nach sich selbst,
unnennbare Bedrohung, Beziehungsspannungen) allesamt nicht neu erfunden werden,
in dieser Konstellation ergeben sie doch ein neues Sujet und ein erfrischendes
Leseerlebnis.
Fazit
Temporeich geschrieben, verwinkelt angelegt und intensiv im Nachzeichnen der
Entwicklung seiner Hauptfigur legt S.J.Watson einen außergewöhnlichen Thriller
vor, der von der ersten bis zur letzten Seite die Spannung hoch hält.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 21. September 2011 2011-09-21 10:23:39