Verwirrung in und um San Guida
"Warum weiß ich, was richtig ist und tue trotzdem weiter das Falsche? Ohne
auch nur ein bisschen zu kämpfen - tue ich das Falsche."
Ein philosophische, tief grüblerische Frage ist es, welche die
Psychoanalytikerin Giovanna sich selber stellt. Zu einem Zeitpunkt, zu dem das,
was man im Buch als Handlung bezeichnen könnte, doch schon um einiges
fortgeschritten ist. Ein Satz, der durchaus Charakteristisches für das Buch in
sich trägt. Denn trotz allem, was vorgefallen ist am Rande des kleinen Dorfes,
trotzdem Giovanna durchaus sich müht, aus eigenem Antrieb Licht in das Dunkel
des Geschehens zu bringen, immer bleibt sie (vor allem) mit sich beschäftigt,
mit ihren Fragen, ihrer Weltsicht.
11 Leichen wurden nahe beim Dorf gefunden. Touristen. Und jeder und jede der
Toten ist an einer anderen Todesursache verstorben. Alles tappt im Dunkeln und
von offizieller Seite her wird letztlich alles dafür getan, der Sache nicht
weiter nachzugehen. Die Psychologin Giovanna aber gibt keine Ruhe. Ein Zeichen
an sich selbst deutet sie in die Richtung, dass das Geschehen im Dorf mit ihr zu
tun hat. Vielleicht auch, weil sie auf der Spur der Tragödie auch auf dem Weg
zu sich selbst sich befindet? Oder zumindest meint, auf diesem Weg zu sein? Auch
der Pfarrer des Dorfes, Don Ermete geht, wiederum aus anderen Gründen, dem
Geschehen nach. Beider Wege kreuzen sich durchaus hier und da, letztendlich aber
gehen beide ihre ganz eigenen Wege in dieser Sache. Auch ganz eigene Wege im
Blick auf ihr inneres Erleben.
Wege, die dem Leser nicht unbedingt einsichtig erscheinen mögen und die, soweit
sei vom Ende des Buches verraten, auch nicht unbedingt zu einem wirklichen
Abschluss und Ergebnis führen. Es scheint eher, als hätte Veronesi seine
Protagonisten auf ihre Wege geschickt, um in teils endlos anmutenden
Gedankenströmen den eigenen, inneren Stimmen zu lauschen, eigenen Gedanken und
Assoziationen nachzugehen. Die eigenen Erlebnisse des Lebens, Traumata und
Schuld, aufzuarbeiten. In manchen Teilen verliert das Buch dabei sehr den
eigentlich roten Faden der 11 Todesfälle aus den Augen, was es dem Leser nicht
einfach macht, sich durchgehend inmitten des Geschehens wiederzufinden.
"Ich weiß gar nichts, mein Herr, aber verirrt haben Sie sich". Dieser
Satz aus dem Buch kann fast als Zusammenfassung des Leseerlebnisses gelten.
Verirren kann man sich gut inmitten all der Worte und Sätze, die im Empfinden
ohne Punkt und Komma aneinander gereiht scheinen und einen endlosen Strom
ergeben. Ein Strom, der leider über weite Teile des Buches zu assoziativ
einherkommt, der dem Leser zwar einen weitreichenden Einblick in das Innenleben
zumindest der Hauptfiguren ermöglicht, der aber an die doch interessante
Grundidee, warum 11 Leichen mit 11 verschiedenen Todesursachen am Rande eines
kleinen Dorfes zu finden sind, zu wenig Anhaftpunkte bietet. Zuwenig auch im
Bereich des Mysteriösen. Der Tod im Wald aufgrund eines Hai Bisses, das deutet
ja durchaus in mythische Richtungen, die aber, leider, ebenfalls nicht stringent
genug ausgeführt werden.
Fazit
So verbleibt eine Nabelschau, die durchaus sprach- und bildgewaltig von Sandro
Veronesi zu Papier gebracht wurde und ein, durchaus gelungener, intensiver Blick
auf das Leben in einer in sich geschlossenen Enklave, das ganz eigenen, teils
grausamen Regeln in der Moderne noch folgt. Mit Folgen nicht nur für 11
Touristen. Im Gesamten aber, trotz der mitreißenden, sprachlichen Form, wirkt
das Buch ein Stück zu unausgegoren.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 04. September 2011 2011-09-04 13:27:55