Zwei Köpfe lugen seitwärts um die Tür der Umkleidekabine - dem einen wachsen
die dunklen Haare wie Schnittlauch senkrecht nach oben, der andere trägt seine
blonde Matte schräg ins Gesicht gekämmt. Das Vorsatzblatt des Buches zieht
sofort mitten in die Geschichte. In einem Schwimmbad, das schon bessere Zeiten
gesehen hat, dümpelt eine Schulklasse beim Schwimmunterricht. Afrolook, Zöpfe,
große Zehen, Schwimmbrillen ragen aus dem Wasser. Die Augen manches Kindes sind
ängstlich nach oben gerollt. Unter zwei benachbarten Türen der Umkleidekabinen
baumeln Füße hervor. Jonah und Piet trauen sich nicht. Sie wispern
miteinander. Fürchten sie sich vor dem Wasser oder vor ihrem Lehrer mit den
stoppeligen Waden, der schon Tauchringe bereithält? Jonah fühlt sich dick;
die Badehose macht die Sache nur schlimmer. Piet hockt winzig wie eine Maus in
der äußersten Ecke der Bank. Sogar Mausohren und Mausezähne sind ihm schon
gewachsen. Piet hat Angst vor dem Sprungturm und vor der unüberschaubaren
Wasserfläche des Schwimmerbeckens. Jonah fühlt sich wie Neptun, in dessen
Seegrashaaren sich im Wasser andere Kinder verfangen könnten. Seegras...
Spaghetti... Salzstangen... Möhrenkraut... auch Piet hat seltsame Ideen von
dem, was einem im Wasser aus dem Kopf herauswachsen kann. Doch nicht nur im
Schwimmbad lauern Gefahren - Piet könnte in seinem dürren Zustand davonfliegen
oder in einem Drehkreuz steckenbleiben. Dass ein stabförmiges Wesen wie Piet
niemanden retten kann, scheint Piets größter Kummer zu sein. Nun will Jonah
sehen, wie winzig Piet wirklich ist. Anzählen - bei drei öffnen sie die
Türen: zwei Jungen wie alle anderen - dem einen wachsen die dunklen Haare wie
Schnittlauch senkrecht nach oben, der andere trägt seine blonde Matte schräg
ins Gesicht gekämmt.
Martina Bürger nutzt für ihre Geschichte vom Anderssein jeden Winkel des
Buches; die Handlung beginnt auf dem vorderen Vorsatzblatt und endet auf dem
hinteren. Ihre Bilder wirken durch den Kontrast zwischen dem gedämpften Rot der
Umkleidekabinen und der gedeckt blauen Wasseroberfläche. Jonahs und Piets
groteske Befürchtungen finden auf riesigen, fast leeren Flächen Platz, die die
Kinder extrem klein und ängstlich wirken lassen. Eine Seite in Taubenblau ist
allein der Witzelei über das Seepferdchen gewidmet, das die Kinder sicher alle
schon abgelegt haben.
Fazit
Mit phantasievollen Gedanken der Jungen an Spaghetti-Körper und
Salzstangen-Haare werden kindliche Ängste um die Wirkung des eigenen Körpers
humorvoll überzeichnet. Piet treibt die Überzeichnung auf die Spitze, als er
seinen dünnen Arm durch ein Nadelöhr streckt. Bürgers humorvolle Geschichte
vom kindlichen Selbstbild und von der Angst vor dem Anderssein wird ab 3 Jahren
empfohlen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 02. September 2011 2011-09-02 11:50:11