Liebe und Verbrechen
Nicht nur die beiden Hauptpersonen des Buches stehen zu Zeiten
"gegeneinander", auch einige andere, kontroverse Reibungsflächen
entstehen im Lauf der Geschichte.
Sei es Toms Mutter, die irgendwann feststellt, dass ihre Tochter Ellie ebenfalls
ihr Kind ist und in all deren Zweifel mütterlichen Rückhalt braucht, ein
Rückhalt, der die Mutter in Konfrontation mit ihrem Mann und ihrem Sohn bringen
wird. Seien es die Verhältnisse an sich, die kontrovers, leider ein wenig zu
stereotyp, gegeneinander gestellt werden. Hier die Familie der englischen Upper
Class mit hohem Einkommen und gesellschaftlichen Verbindungen, dort der soziale
Brennpunkt mit der alkoholabhängigen Mutter, der schon tüchtig trinkenden und
äußerst aufreizend sich kleidenden Karyn (das Opfer), der kleinen Schwester
Holly, die droht, unter die Räder zu kommen und eben Mikey, dem ältesten Sohn
und großen Bruder, der sich dem Schutz der kleinen Familie verpflichtet fühlt
und damit die bis dato einzige Chance auf eine geregelte Ausbildung aufs Spiel
setzt.
Kontroverse Konstellationen, die das Buch im großen wie im Kleinen durchziehen,
das heikle Thema der Vergewaltigung aufnehmen, im Kern aber durchaus auch eine
Abwandlung des alten Romeo und Julia Themas widerspiegeln (ohne dessen
dramaturgische Güte zu erreichen).
Karyn, 15 Jahre alt, wurde von Tom vergewaltigt. In einer Situation völliger
Trunkenheit und nachdem sich jene Karyn intensiv an Tom herangemacht hatte aus
jugendlicher Schwärmerei. Klar, dass Toms Familie alles daran setzt, den Beweis
anzutreten, dass dies niemals passiert ist. Eine Konstellation, die Ellie, die
jüngere Schwester Toms, zu zerreißen droht. Denn sie ist die einzige
Augenzeugin und sie hat wesentlich mehr gesehen, als sie bei den ersten
Vernehmungen zu Protokoll gibt. Eine Zerreißprobe, die noch intensiver sich
verdichtet, als sie sich unbekannterweise in Mikey verliebt. Der sich auf Toms
Rückkehrparty aus dem Gefängnis eingeschlichen hat, um seine Rache an Tom zu
nehmen und die Verteidigung der Ehre seiner Schwester mit seinem besten Freund
zusammen auf den Weg zu bringen. Mikey, der von Ellie ebenfalls nicht
unbeeindruckt bleiben wird.
So nehmen die Irrungen und Wirrungen, vor allem aber die inneren Kämpfe und
Entwicklungen ihren Lauf. Solidarität mit der Familie oder der Wahrheit den
Vorrang geben? Einander vertrauen oder an den vielfältigen Gründen zum
Misstrauen scheitern?
Eine Geschichte, die Jenny Downham vor allem in der Zeichnung und Entwicklung
ihrer Figuren bis in die Nebenfiguren hinein intensiv umzusetzen versteht.
Mutter und Vater von Tom, Tom selbst, Mikey, der hin- und her gerissene große
Bruder, Karyn, die sich seit dem Geschehen verkriecht, Ellie, die weiß, was
geschehen ist und ihren Bruder liebt, doch zu Mikey ebenfalls intensive Gefühle
entfaltet, alle Figuren werden greifbar dargestellt, die inneren Überlegungen
und Zwänge, die langsame Veränderung der Haltungen, dies ist es, was dem Buch
einerseits eine innere Spannung und Qualität gibt.
Die Geschichte selber allerdings ist zum einen nicht sonderlich mitreißend
angelegt, so, als würden die äußeren Ereignisse nur den Rahmen für die
Personen bilden und selber keine allzu große Rolle spielen.
Fazit
Im Gesamten plätschert das Buch etwas vor sich hin, baut nur an wenigen Orten
eine innere Spannung auf und ergibt so wenig innere Beteiligung des Leser an den
Abläufen selbst. Auch die Milieus sind ein wenig zu stereotyp dargestellt (das
mehrmalige Verschwinden von Mikeys und Karyns Mutter ohne Rücksicht auf die Not
der Kinder wirkt doch etwas überstrapaziert). Intensiv aber gestaltet in der
Darstellung der Innenwelt der handelnden Personen und der inneren Entwicklung,
die dem Leser ein Verständnis nicht nur für die Opfer des Geschehens, sondern
auch für die Täter und deren Familie vermitteln. In dieser Hinsicht lohnt die
Lektüre durchaus.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 25. August 2011 2011-08-25 13:55:19