Das Erstlingswerk von Liselotte Marshall ist ein autobiographisch gefärbter
Roman, der die rührende und mitreißende Lebensgeschichte der Romanheldin
Rachel Bernstein erzählt.
Diese wurde als Jüdin in Deutschland geboren, lebte dort allerdings nur in den
ersten drei Jahren ihres Lebens, da sie auf Grund einer tuberkulosen
Hüfterkrankung in eine Klinik in die französische Schweiz gebracht wird.
Diesem Zufall verdankt sie, dass sie nicht wie der Rest der Familie in einem
Konzentrationslager ihr Ende findet.
Nachdem sie ihre ganze Kindheit an ein Bett gefesselt und auf die Güte und die
Mittel einer Arztfamilie angewiesen aufgewachsen ist, verlässt sie den Ort der
langen Peinigung und Schmerzen und emigriert nach Amerika, wo sie von ihrer
einzigen noch lebenden Verwandten aufgenommen wird. Auf Grund ihrer
Dreisprachigkeit findet sie schnell einen Job als Dolmetscherin, heiratet einen
erfolgreichen Amerikaner und verdrängt in diesen Jahren, die so glücklich
erscheinen, ihre belastende Vergangenheit.
Durch die Begebenheit, dass sich ihr Mann von ihr scheiden lässt, fällt sie in
eine tiefe Krise und wird von den Erinnerungen ihrer Kindheit eingeholt. Als sie
die Chance bekommt, den Heimatort ihrer Kindheit und Jugend aus beruflichen
Gründen erneut aufzusuchen, ergreift sie sie mit viel Überwindungskraft, um
endgültig mit ihrer Vergangenheit abschließen zu können. Während ihrer Reise
in die Vergangenheit wird sie von Schuldgefühlen, Angst und Wut geplagt.
Sie trifft viele bekannte Gesichter aus alten Zeiten wieder, deren Reaktionen
auf das Wiedersehen mit Rachel nicht unterschiedlicher hätten sein könnten.
Nach und nach beginnt sie zu verarbeiten und zu verstehen, was sie solange
geplagt hat.
Außer ihrer sie ständig belastenden Kindheit sind es vier grundliegende
Probleme, die Rachel den ganzen Roman hindurch begleiten und ihr das Leben zur
Hölle machen:
Zum ersten ist dies die Tatsache, dass sie Jüdin ist. Diese Religion, die sie
nie selbst gelebt oder auch nur mitbekommen hat, lässt sie unter dem
Antisemitismus und einem großen Teil ihres restlichen Umfeldes leiden. Sie
selbst bezeichnet ihre Religion als Behinderung. " Tatsächlich war das
rote J, in meinem Pass, verstärkt durch den Namen Sara, die schlimmste
Behinderung - es bestand keine Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit auf ein simples
Bein zu richten, wenn die ganze Person zu einer Krankheit erklärt
wurde."
Geschürt von ihrer Tante plagen sie auch immer wieder Gedanken gegenüber ihrem
toten Vater und ihrer toten Schwester, die beide im KZ starben, während Rachel
in der Schweiz nichts von dem Krieg mitbekam.
Ihr offensichtlichstes Handycap ist ihre Behinderung, das Hinken, das eine Folge
ihrer Tuberkulose-Erkrankung ist und mit dem sie selbst auch keine Probleme
hätte. Doch von der Gesellschaft wegen ihrer physischen Abnormalität immer
wieder ausgegrenzt wird sie von Selbstzweifeln zerfressen.
Zu guter letzt ist ihr wohl größtes Problem ihre Heimatlosigkeit und ihre
Muttersprachenlosigkeit. Da sie mit drei Sprachen aufgewachsen ist und diese
Dreisprachigkeit auch beruflich sehr erfolgreich umsetzen kann, sieht man dies
zunächst nicht als Problem, sondern als Geschenk, doch beim näheren Betrachten
merkt man, dass ein Mensch, der zwar mit drei Sprachen aufgewachsen ist, doch
keine Muttersprache hat, keine Sprache die ihm einfach selbstverständlich
erscheint, sich in keiner Sprache richtig sicher fühlen kann, da er nicht in
jeder Sprache über alles reden kann und sich nie sicher sein kann in der
richtigen Sprache das richtige Wort zu finden. "Ich habe keine drei
Muttersprache, nicht einmal eine.In keiner von ihnen kann ich mich zu jedem
Thema perfekt ausdrücken.Die eine ist besser für dies, die andere ist besser
für jenes."
Fazit
Unglaublich mitreißendes und geniales Buch!
Vorgeschlagen von Marie Marschoun
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veröffentlicht am 13. September 2003 2003-09-13 13:28:58