"Lady Chatterley" war ein Skandal- Buch Anfang des 20. Jhd. Die
Freizügigkeit, mit der Lawrence über die Bedürfnisse einer Frau, ihren
Orgasmus und ihrer Begeisterung am männlichen Geschlecht, erzählte. Auch
heute, will ich meinen, ist es eine überraschend unverblümte aber nicht plumpe
Herangehensweise an das Tabu-Thema Sex, was heutzutage kaum als solches
bezeichnet werden kann, heute ist es eher das Gegenteil.
Doch der Roman war bis in die 50er Jahres des 20.Jhd eine so brissante
Angelegenheit, dass sie nur mit Beschneidungen veröffentlicht werden konnte.
Dabei schreibt Lawrence keineswegs schmutzig oder obszön, er bedient sich einer
sehr behutsamen, überlegten aber dennoch klaren Sprache.
Aber damals war es ein Unding, die Gelüste und deren Befriedung einer Frau in
solch deutlicher und ungeschmückter Art zu verkünden. Keine Frau von Stand
hatte einen Trieb zu haben, und wenn dann nur zu Hause.
Leid zu ertragen war eine Kunst, die damals v.a. Frauen zu beherrschen hatten,
man heiratete selten aus Liebe und musste sich damit abfinden, aber Constance
ging her und befreite sich aus dieser Lage, sie lebte ihre Bedürfnisse aus und
rettete sich somit das Leben, klar war sie egoistisch.
Was sind die Unterschiede? Da gibt es einige. Zu erst ist schon mal das Wirrwarr
um den Titel zu klären. Im englischen heißt die endgültige und
"autorisierte" Version "Lady Chatterley’s Lover, im Deutschen
heißt die 1.Fassung schlicht "Lady Chatterley". Dann veröffentlichte
Diogenes im Jahre 1975 die 2.Fassung unter dem Titel "John Thomas and Lady
Jane" (diesen Titel hatte Lawrence als endgültigen Titel vorgesehen
gehabt, umgangssprachlich stehen diesen beiden Namen für die Geschlechtsteile.
Aber Lawrence musste das im Subtitel verstecken, also hieß der Roman "Lady
Chatterley’s Lover- John Thomas and Lady Jane"). Die mir vorliegende
Auflage aus dem Jahre 2007 heißt nun "Lady Chatterley’s Lover".
Andere Unterschiede:
Der Waldhüter in der endgültigen Version heißt Mellors, aber nicht nur der
Name ist anders, der ganze Typus ist ein anderer. Mellors ist intellektuell, hat
es im Krieg bis zum Offizier geschafft und spricht mehrere Sprachen, er ist
groß gewachsen und hat blaue Augen. In der 2.Fassung heißt der Wildhüter
Parkin, dunkelhaarig, von mittlerer Körpergroße mit Schnauzbart, ein einfacher
Arbeiter. Parkin passt besser in das Bild, was Lawrence zeichnet wollte: Dass
Liebe Hürden überwinden kann und vor nichts zurückschreckt. Mellors war viel
annehmbarer für die Constance aus dem Adel, er konnte sich mit ihr auf ihrer
Ebene unterhalten, er war kein so großes Ding der Unmöglichkeit, wie es Parkin
ist. Er steht tiefer als Mellors, es wäre eine Schande für Connie, sich mit
ihm einzulassen.
Clifford ist in der 2.Fassung erst überglücklich, dass er den Krieg überlebt
hat, egal ob gelähmt oder nicht, er kann es nicht fassen. Mit den Jahren legt
sich diese Euphorie und er fällt in eine Depression, in die er Connie
mitreißt. Sie wird immer mehr zum Gespenst in Wragby und in Cliffords
Gegenwart, sie fühlt wie sie innerlich verrottet und langsam dahin siecht. Mit
Eintreffen der Pflegerin Mrs. Bolton ändert sich alles. Clifford widmet sich
seinem maroden Geschäft, den Zechen, von denen er lebt und die lange nicht
mehr gut laufen und Connie bekommt mehr Freiheit.
Clifford ist ein unguter Mensch, gehässig und stolz, beharrt auf alte
Hirachiesysteme, will seinen Arbeitern kein Mitspracherecht erlauben, hält sie
für dumm und einfältig und glaubt, dass er der rechtmäßige Herr über sie
und es amüsiert ihn zu sehen,dass seine Frau sich auf die Seite der
Unterworfenen stellt.
Die Beziehung von Connie Parkin rettet beide aus ihrer dunklen Gemütslage, sie
finden ineinander die Freiheit, die sie gesucht haben, das Ungezwungene und die
Möglichkeit frei zu lassen. Es bindet sie die Angst einen weiteren Verlust zu
erleiden und die Hingabe aneinander. Zum ersten Mal bedeutet Körperlichkeit
für Connie was, da kann sie sich frei fühlen von Scham und Klassendenken, von
Clifford und der Düsterkeit von Wragby. Die Einfachheit von Parkin ist für sie
kein Hindernis, sie schämt sich nicht für die Affäre und sie fordert sie für
sich als lebensrettende Maßnahme ein.
Im Gegensatz zur endgültigen Fassung erfährt Clifford in der 2.Fassung nie was
von der Affäre seiner Frau.
Das Ende ist hoffnungsvoller, und der Leser nimmt ein letztes Mal teil an der
innigen Verbundenheit und der Verlustangst von Connie und Parkin.
Fazit
Auch die 2.Fassung ist eine Lesefreude, auch wenn mir Mellors aufgrund seiner
Männlichkeit besser gefallen hat, so hat mir der Arbeitermensch Parkin und
seine unbeholfene Liebe zu Connie mehr angerührt.
Gut, dass es beide Fassungen gibt.
Vorgeschlagen von Diyani Dewasurendra
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veröffentlicht am 18. Dezember 2008 2008-12-18 16:57:12