Aufgrund zahlreicher positiver Kritiken, u.a. der Nominierung zum Deutschen
Jugendliteraturpreis, habe ich dieses Buch gelesen und bin sehr enttäuscht. Das
Werk wurde mit Huckleberry Finns Abenteuer - dessen Reise auf dem Mississippi
mit dem entlaufenen schwarzen Skalven Jim - verglichen und gerade dieser
Vergleich macht leider deutlich, dass das vorliegende Werk in keinster Weise an
Mark Twains Meisterwerk heranreicht.
Zum Inhalt:
Der 14-jährige Maik Klingenberg ist in seiner Klasse Außenseiter, seitdem er
in einem Aufsatz das Alkoholproblem seiner Mutter öffentlich gemacht und er
dafür von seinem Deutschlehrer gerügt worden war. Daher wird er zeitweise
"Psycho" genannt und findet keine richtigen Freunde. Dies wird
besonders offensichtlich, als eine Schulkameradin, Tatjana Cosic, fast alle
Klassenkameraden zu ihrer Geburtstagsparty in den bevorstehenden Sommerferien
einlädt und Maik zu den wenigen Leuten gehört, die keine Einladung erhalten
haben.
Dieses Schicksal teilt er mit dem neu in die Klasse gekommenen Russen Andrej
Tschichatschow, genannt Tschick, der es irgendwie aufs Gymnasium geschafft hat,
dort aber meist betrunken aufkreuzt. Nur wenn er zeitweise mal nüchtern ist,
zeigt sich, dass er in einigen Fächern durchaus begabt scheint.
Aus unerklärlichen Gründen - möglicherweise, weil Tschick in Maik ebenfalls
einen "Außenseiter" spürt - fährt er mit einem geklauten Lada bei
Maik vor, als dieser allein die Sommerferien verbringt. Die Mutter befindet sich
in der Entziehungsklinik, der geschäftlich gescheiterte Vater verbringt die
Ferien lieber mit seiner Geliebten und täuscht eine "Geschäftsreise"
vor. Er hinterläßt seinem Sohn 200 Euro und die Auflage, "keine
Scheiße" zu bauen.
Doch genau dies geschieht: Tschick überredet Maik, ihn mit dem gestohlenen Auto
in die Walachei zu begleiten. Pech nur, dass beide nicht wissen, wo diese Region
liegt und sich weder über Karten oder das Internet über die genaue Lage
informieren. Ohne Handy oder andere Kommunikationsmittel, mit denen sie
eventuell geortet werden können, beginnt eine Reise, bei der ich mich gefragt
habe, warum die beiden Ausreißer nicht gleich von der Polizei geschnappt
werden, sondern mehrere Tage kreuz und quer durch Ostdeutschland reisen können,
ohne erwischt zu werden.
Schließlich bauen sie - nach Tagen des Umherirrens - einen Unfall und so endet
die Reise nicht in der ersehnten Wallachei bei Tschicks Großeltern, sondern im
Krankenhaus und bei der Polizei. Tschick landet im Heim, während für Maik die
Sache etwas glimpflicher ausgeht: er bekommt als Strafe Sozialstunden, die er
ableisten muss und Ärger hat er nur mit seinem Vater, der über die Extratouren
seines Sohns sehr ungehalten reagiert und nicht in der Lage ist, dem Jungen
Verständnis und Wärme zu liefern. Er ist nur daran interessiert, alles auf den
" asozialen Russen" zu schieben und seinen eigenen Sohn heil aus der
Angelegenheit herauskommen zu lassen. Maik selber ist jedoch zu anständig, um
dies zuzulassen und erzählt rückblickend die ganze Geschichte, ohne seinen
"Anteil" an den Ereignissen zu verschweigen.
Diese Wendung am Ende war das Einzige, was mir an diesem Buch gefallen hat: dass
Maik Tschick nicht im Stich lässt. Ansonsten kann ich mich positiven
Bewertungen leider nicht anschließen. Die Handlung ist vorhersehbar und m.E.
nicht frei von Klischées. So naiv sind Jugendliche heutzutage nicht, sich ohne
Karte und einfach so ins Blaue zu begeben. Die Charaktere wirken oberflächlich.
So hätte mich interessiert, warum Tschick ausgerechnet mit Maik Freundschaft
sucht. Doch all dies bleibt an der Oberfläche und auch am Ende ergibt sich
nicht die Chance einer differenzierten Aufklärung oder einer Liebessgeschichte
- etwa mit dem von Maik verehrten Mädchen Tatjana - weil der ironische
Deutschlehrer dazwischentritt und eine heimliche Kommunikation der beiden - und
damit eine entstehende Liebesbeziehung - verhindert. Doch dies scheint dem Autor
ganz recht zu sein. Die Szene zeigt, dass lediglich an der Oberfläche
"gekrazt" wird, in die Tiefe geht dieser Roman keinesfalls und m.E.
ist die Handlung nicht glaubwürdig. Man lese einmal die Bücher von Jochen
Till, um zu wissen, wie Jugendliche heute "ticken". Doch dieser Roman
ist m.E. unglaubwürdig und absolut nicht authentisch. Die von einigen
Rezensenten hochgelobte Sprache erscheint mir stellenweise bemüht zu sein, als
ob Jugendsprache "gewaltsam" nachgeahmt werden sollte.
Fazit
Aber glücklicherweise sind Geschmäcker ja verschieden. Mir jedoch hat das Buch
leider nicht gefallen, ich finde es noch nicht einmal durchschnittlich,
vorhersehbar und keinesfalls spannend. Glaubhafte Charaktere oder eine plausible
Handlung gibt es meines Erachtens leider nicht. Lesen Sie lieber nochmals
"Huckleberry Finns Abenteuer", das Werk, mit dem einige
Literaturkritiker das vorliegende Buch verglichen haben oder auch "Der
Fänger im Roggen", mit dem es ebenfalls verglichen wird. Dann wird das
unterschiedliche Niveau dieser Klassiker auf der einen Seite und dem
vorliegenden Buch auf der anderen Seite m.E. mehr als deutlich. Keine
Empfehlung.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 05. August 2011 2011-08-05 22:27:04