Die Geister, die man rief.....
Der Titel des Buches ist der gleiche wie jener der letzten CD, die Steve Earle
auf den Markt gebracht hat. Und dass scheint kein Zufall zu sein, denn in beiden
Werken geht es um den Geist der Vergangenheit. Das Lebensgefühl, Protagonisten
einer Zeit, die Earle durchaus beeinflusst haben, nicht nur musikalisch,
sondern, wie jetzt zu lesen, auch biographisch. Und natürlich stimmt der Titel
in jeder Hinsicht. Nicht nur, was den ein oder anderen Protagonisten des Buches
angeht. Niemand kommt lebend aus dieser Welt heraus. Wie er aber sich in dieser
Welt innerlich positioniert, dass ist eines der wesentlichen Themen des
Romans.
Angesiedelt in den frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts begegnet die
heimliche Hauptperson des Buches, Graciela (= Grace = Gnade) dem
vordergründigen Protagonisten "Doc" Ebersole im Rahmen seiner
"Berufsausübung". Doc führt vor allem Abtreibungen in einer Absteige
in San Antonio, einem vergessenen Kaff in Texas, durch. Graciela ist gerade 18,
hat ein einziges Mal einem Mann beigewohnt und wird nun von diesem zu Doc
gebracht, um das Malheur zu beseitigen. Und verbleibt ihm aufgrund von
Komplikationen für eine längere Zeit, als er dachte.
Ihm, der ganz unten angelangt ist, der seine Approbiation verloren hat, der, aus
einer Ärztedynastie stammend, sich dem Rauschgift hingegeben hat und
Abtreibungen und andere ärztliche Dienstleistungen unter der Hand anbietet, um
genügend Geld für den täglichen Stoff zusammen zu bekommen.
Doc, welcher der Arzt von Hank Williams war und mit im Auto saß, als der
bekannte Country Musiker starb. Und auch diesen wird Doc nicht wirklich los. Der
Geist Hank Williams hat sich an Doc geheftet, nur er kann ihn sehen und hören.
Oder sind das bereits Auswüchse seiner Drogensucht? Im Buch zumindest
entwickelt der Geist ein durchaus reges Eigenleben und lässt so vor den Augen
des Lesers auch einen guten Teil inneren Erlebens und äußerer Musikgeschichte
defilieren. Und wird nicht nur für Doc sichtbar bleiben.
Als dann noch deutlich wird, dass Graciela über Kräfte verfügt, die nicht von
dieser Welt scheinen, Kräfte, die durch körperliche Zeichen bekräftigt
werden. Als mehr und mehr Menschen auf dieser untersten Sprosse der damaligen
gesellschaftlichen Leiter ihr Leben ändern, landläufig "Wunder"
geschehen, da taucht durchaus noch einmal in hintergründiger Form auf den
Seiten des Buches genau jener "Geist der Zeit" der damaligen Jahre
auf, von denen Steve Earle zu erzählen gedenkt. Wie aus einer festgefahrenen,
aussichtslosen Situation, in klaren, festgelegten, gesellschaftlichen Rahmungen
aus fast Hoffnungslosigkeit und "in den Tag hinein leben" neue Impulse
erstehen. Fast ein Abbild der Entwicklung der 60er Jahre des letzten
Jahrhunderts, innerhalb derer die so festgefügt erscheinende
Nachkriegsgesellschaft einen rasanten Wandel erlebte.
Vor allem aber setzt Earle in kraftvoller, vielfältiger und in Teilen
poetischer Sprache Personen auf einen inneren Weg, die allesamt fassbar
erscheinen, die gelebt haben, deren Erfahrungen, Wunden, Resignationen und
ebenso deren fast vergessene Hoffnungen Earle intensiv zu beschreiben versteht.
Es hat schon seinen Sinn, dass Hank Williams (noch) nicht zur Ruhe kommt. Es ist
schon passend, dass die kleine Gruppe der Versprengten aus dem Ghetto eines
Tages am Flughafen sich versammeln, um der personifizierten Hoffnung jener Tage,
John F. Kennedy, einmal nahe zu sein. So dreht sich das Leben der handelnden
Personen in unerwartete Richtungen, die den Geist von Hank, Doc und so manch
anderen in San Antonio nichtunverändert lassen werden.
Dennoch kann man nicht daran vorbeisehen, dass die Geschichte selbst vor allem
im zweiten Teil des Buches hier und da Verwirrung hinterlässt und ein roter
Faden mehrfach aus den Augen gerät, dass dieser rote Faden ein wenig zerfasert.
Fazit
Das aber in weiterhin kraftvoller Sprache und immer wieder mit berührenden
Momenten über die Hoffnung im Leben. Wie es Graciela ausdrückt: "Wir
fahren dahin, wo wir gebraucht werden und wir werden so lange bleiben, bis der
richtige Zeitpunkt zum Weiterziehen gekommen ist". So ist das mit der
Hoffnung und Kraft zu einem besseren Leben und es bleibt abzuwarten im Buch, wen
Graciela an welchen neuen Ort mitnehmen wird.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 21. Juli 2011 2011-07-21 15:17:57