Der amerikanische Autor George Martin wurde vom TIME-Magazine als der
"amerikanische Tolkien" bezeichnet, während die angesehene New York
Times vor kurzem schrieb: Nein, Martin sei sogar besser. Wenn sich nun ein Buch
innerhalb weniger Tage fast eine halbe Million Mal verkauft, neue Auflagen gar
nicht schnell gedruckt werden können - dann darf man wohl von einem Bestseller
reden. Doch der Weg dahin war lang und steinig, sowohl für den Autor als auch
für seine Leser. Als vor einigen Wochen Martin in seinem Blog ("Not a
blog") schrieb, "Kong is dead", musste man sich keine Sorgen um
eine eventuelle Gewalttat machen. Vielmehr war dies das lange ersehnte Zeichen
an die Millionen von Lesern weltweit, dass der fünfte Teil von Martins epischer
Sage "A Song of Ice and Fire" endlich vollendet war.
"A Dance with Dragons" (im Folgenden ADWD) ist nach sechs Jahren
endlich erschienen. Dabei stellt es mit über 1000 Seiten "nur" die
Ergänzung für den vierten Teil "
A Feast for Crows" (AFfC) dar,
der bereits bei Buchtips besprochen worden ist. Die Handlung von ADWD läuft zu
etwa zwei Drittel parallel zu der von AFfC, um am Ende einige Wochen (vielleicht
wenige Monate) weiter zu laufen.
In ADWD werden die Leser auf altbekannte Charaktere treffen. Tyrion Lannister
ist seit dem Mord an seinem Vater Tywin auf der Flucht und trifft in der freien
Stadt Pentos den bereits bekannten Magister Mopatis. Dieser eröffnet ihm, dass
sich noch weiter im Osten eine Möglichkeit bietet: Daenerys ("Dany")
Targaryen, rechtmäßige Erbin der sieben Königreiche von Westeros, regiert
dort die Stadt Meereen - und sie hat drei Drachen, die ersten seit über hundert
Jahren. Tyrion macht sich auf den Weg, begleitet von dem ehemaligen Ritter Griff
und dessen "Sohn"; beide stellen sich schon bald als weitaus
bedeutender heraus, als zunächst angenommen. Tyrion plant, mit Dany nach
Westeros zurückzukehren und die Targaryens wieder auf den Thron zu setzen - und
sei es nur, um seinen toten Vater noch weiter zu demütigen. Doch die Reise ist
weit und gefährlich, so dass Tyrion bald schon seine Pläne ändern muss. Dies
muss auch Dany, die ihre Drachen kaum unter Kontrolle hat und zudem um die
Kontrolle Meereens kämpfen muss. Von innerhalb und außerhalb drohen Gefahren,
die immer unkalkulierbarer werden. Eine Rückkehr nach Westeros, eigentlich ihr
ersehntes Ziel, kann sie nur unternehmen, wenn sie dafür Meereen ihren Gegnern
opfert.
Neben diesen beide großen Handlungsbögen auf dem östlichen Kontinent Essos,
ist der dritte Handlungsstang im Norden von Westeros angelegt. Hier sieht sich
Jon Snow, unehelicher Sohn des hingerichteten Lords Eddard Stark und nun 998.
Lordcommander der Night's Watch, die die Grenze im Norden sichert, mit
zahlreichen Problemen konfrontiert. Stannis Baratheon, der selbst Anspruch auf
den Thron erhoben hatte, aber unterlegen war, hat sich mit den Resten seiner
Truppen an die Mauer im Norden begeben. Obwohl die Watch geschworen hat, nie im
"Spiel um den Thron" Partei zu ergreifen, berät Jon Stannis, der
gegen den neuen "Wächter des Nordens" Roose Bolton in den Kampf
ziehen will. Bolton hatte zuvor die Starks verraten und sich im Bürgerkrieg dem
siegreichen Haus Lannister angeschlossen, doch der Norden ist nicht gesichert.
Während der Winter einbricht, stehen noch immer Invasoren der Iron Islands im
Nordwesten, während Boltons "Bastardsohn" Ramsay ungeheuerliche
Gewalttaten verübt, um durch Schrecken Macht auszuüben. Besonders zu leiden
hat Ramsays "Gefährte" Reek - der in Wahrheit der nunmehr
verstümmelte Theon Greyjoy ist, Erbe der Iron Islands. Gleichzeitig zeigt sich,
dass es noch immer genügend Stark-Loyalisten gibt, die nur auf die richtige
Gelegenheit warten.
Am Ende des Buches landet im Süden der sieben Königreiche die legendäre
Söldnereinheit der Golden Company - angeführt von einem ehemaligen Lord und
Targaryen-Loyalisten, der nun nicht mehr schlicht "Griff" heißt...
Im Rahmen dieser Besprechung sollte nicht zuviel verraten werden - besonders
nicht wer stirbt und wer überlebt (zumal dies hier auch nicht immer eindeutig
ist). ADWD ist jedenfalls ein großartig geschriebenes Buch, das wahrhaftig die
Geschichte dieser fiktiven Welt atmet - wenngleich es nicht ohne Makel ist
(siehe Fazit).
Martin schreibt, oft mit schwarzem Humor gewürzt, vor allem über die
Schicksale verschiedener Menschen, die in eine für sie nicht kontrollierbare
Situation versetzt werden, die diese versuchen zu meistern. Manche handeln aus
rein egoistischen Motiven, sind skrupellos und brutal, andere ehrenhafter und
von anderen Motiven getrieben, doch sind ihre Mittel teils nicht sehr viel
anders. Martins Welt ist eine düstere, von politischen Intrigen und Kriegen
zerrissene Welt, in der nicht derjenige überlebt, der immer das moralisch
Richtige tut, sondern der schlauere und besser informierte
"Mitspieler", der im Spiel um die Macht den anderen einen Schritt
voraus ist. Dennoch fehlt es nicht an Momenten, wo immer wieder Menschlichkeit
aufblitzt: Mitgefühl, Mitleid, Ehrlichkeit und auch Freundschaft. All dies
erhellt die Geschichte, die weit mehr mit den englischen Thronkämpfen
("Rosenkriegen") im 15. Jahrhundert zu tun hat als mit "Sopranos
in Mittelerde", wie es der amerikanische Pay-TV Sender HBO in seiner
Werbung für die gerade gezeigte (mehr als gelungene und absolut sehenswerte)
und von der Kritik hochgelobte TV-Adaption beschrieb. Es ist eine Welt, in der
Ehre an sich wenig zählt und Verträge nur auf dem Papier gelten, in der
Gefahren jenseits der von Menschen besiedelten Gebieten drohen, die die Menschen
in der Handlung nur für mythisch halten - und in der das Spiel um den Thron nur
auf zweierlei Weise enden kann: siegreich oder tödlich. Doch das macht den Reiz
dieses Werkes aus, dass sich kein Leser entgehen lassen sollte, auch wenn er
oder sie sonst "Fantasy" an sich nie anrühren würden. Es ist mehr
als das - weit mehr.
Fazit
Man darf, wie im Laufe der Besprechung wohl deutlich geworden ist, auf keinen
Fall den Fehler begehen und ADWD (trotz offensichtlich vorhandenen Motiven)
schlicht als "Fantasy" abtun. Die New York Times schrieb gar davon,
Martin sei "more Balzac and Dickens than Tolkien". An dieser
Charakterisierung ist einiges dran. Martins Welt ist zwar in eine tiefgründige
Geschichte eingebettet, was sehr viel vom Reiz der Handlung ausmacht, aber die
Geschichte der Menschen steht im Mittelpunkt - und diese entsprechen fast nie
dem "schwarz-weiß-Muster", sondern sind charakterlich meistens sehr
viel tiefgründiger.
Allerdings: bei aller Freude über die weitgehend gelungene und gut geschriebene
Handlung - die aber an einigen Stellen eine Straffung und an anderen eine
Erweiterung vertragen hätte -, so muss man Martin doch den Vorwurf machen,
diesmal zu viele Fragen offen gelassen zu haben. Cliffhanger begleiten den Leser
am Ende von Kapitel zu Kapitel, was schon etwas ärgerlich ist, bedenkt man den
Umfang der Handlung und dem gelungenen Abschluss in den ersten drei Bänden.
Deshalb kann es hier auch keine Höchstwertung geben, was aber niemanden vom
Kauf abhalten sollte - sie würden sonst viel verpassen. So aber müssen die
Leser bis "Winds of Winter" warten, bis sie auf viele Fragen
hoffentlich eine Antwort erhalten. Man möchte daher Martin dringend das Motto
des Hauses Stark nahelegen: "Winter is coming" - hoffentlich bald.