Horst Möllers erstmals 1985 erschienene Darstellung der Weimarer Republik als
"unvollendeter Demokratie" ist bis heute ein Meilenstein der
Forschung. Sie konzentriert sich sehr auf die politische Geschichte und die
persönlichen Faktoren der Republik. Bestechend an dieser Ausgabe sind vier
Tatsachen: zum ersten gibt es psychologisch eindrucksvolle Portraits der beiden
Reichspräsidenten der Weimarer Republik, Ebert und Hindenburg, wobei hier
eindeutig - im Gegensatz zu früheren Weimar-Publikationen, etwa Hagen Schulzes
"Weimar", die Wahl Hindenburgs 1925 als entscheidender Wendepunkt und
als Verhängnis für die Republik betrachtet wird. Auch charakterlich sei - wie
Möller eindrucksvoll im Vergleich zu der Studie von Ebert nachweist -
Hindenburg seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen, da er wider besseres Wissen
1919 zur Entstehung der Dolchstoßlegende beigetragen habe und somit - nebst
seiner Illoyalität gegenüber den Reichskanzlern Brüning und Schleicher,
entscheidend zum Untergang der Republik beigetragen habe.
Zweitens hat Möller in einem Epilog nochmals die Gründe für das Ende der
Weimarer Demokratie und die nationalsozialistische Machtergreifung 1933/34
eindrucksvoll herausgearbeitet, wobei er auf das komplexe Ursachenfeld
historischer, psychologischer, wirtschaftlicher, politischer und
gesellschaftlicher Faktoren eindrucksvoll darlegt und drei zentrale Fragen
überzeugend beantwortet: Welche Belastungsfaktoren für die Weimarer Demokratie
die heutige Forschung als entscheidend ansieht; wie es mit der Stabilität der
Weimarer Demokratie tatsächlich bestellt war und welchen Charakter die
aufsteigende nationalsozialistische Bewegung besaß und warum sie dem Weimarer
Staat so schnell den Todesstoß versetzen konnte. Wer diesen 19-seitigen in die
erweiterten Ausgabe von 1993 aufgenommenen Aufsatz liest, ist wirklich umfassend
über die Gründe des Scheiterns der ersten deutschen Demokratie informiert.
Drittens hervorzuheben ist die umfangreiche Sammlung an Dokumenten. Hier
besticht unter anderem die Darstellung der entscheidenden Artikel der Weimarer
Reichsverfassung, die ihren Kompromißcharakter zwischen parlamentarischer und
präsidialer Verfassungskonstruktion deutlich aufzeigt. Der Reichspräsident sah
sich durch den Notverordnungsartikel 48, den Parlamentsauflösungsartikel 25 und
den Artikel 53 (alleiniges Ernennungs- und Entlassungsrecht des Reichskanzlers)
ab 1930 in der Lage, die "präsidialen Reserveelemente" voll zur
Geltung zu bringen. In der Tat konnte man Weimar ab 1930 als Präsidialsystem
bezeichnen (S. 212).
Viertens besticht an der Darstellung in der vorliegenden DTV-Reihe die
kompetente Darstellung und Interpretation der Primärquellen sowie der ständig
anwachsenden Sekundärliteratur, die mit jeder Auflage aktualisiert wird.
Fazit
Insgesamt also eine vorzügliche, auch für Schüler glänzend geeignete,
Kurzdarstellung über die Geschichte der Weimarer Republik, die die Konkurrenz
mit anderen Gesamtdarstellungen, etwa der von Hagen Schulze oder der
vorzüglichen Arbeit von Heinrich A. Winkler nicht zu scheuen braucht. Für mich
nach wie vor die beste Gesamtdarstellung zu diesem Thema.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 28. August 2003 2003-08-28 13:30:15